Donnerstag, 9. August 2012

Batman-Tage auf 0,2: The Dark Knight Rises



In der Heldenreisen-Dramaturgie, die von den alten Griechen geprägt wurde und die sich in allen westlichen Mythen niederschlägt und tief in unserer Erzählkultur verwurzelt ist, gibt es die so genannte "Tiefste Höhle". Die stellt einen imaginären oder realen Ort dar, an dem der Held mit seinen tiefsten Ängsten und erschreckendsten Wahrheiten konfrontiert wird. Wenn er diesen Ort verlässt, hat er Erkenntnis und Reife erlangt. Beides ist am Ende der Geschichte entscheidend und hilft dem Helden, sein Ziel zu erreichen oder  ein reiferer Mensch zu werden.

Die tiefste Höhle findet sich normalerweise in der Mitte oder gegen Ende des zweiten Akts, so dass der Held mit Erkenntnis ausgerüstet in den dritten Akt gehen kann. (Eine 1:1 Darstellung der Höhle gibt es übrigens in "Das Imperium schlägt zurück". Hier geht Luke auf Dagobah wirklich in eine Höhle, wo er Vader – seine schlimmste Angst – trifft und mit der Erkenntnis konfrontiert wird, dass er und Vader eins sind. Doch Luke nimmt die Erkenntnis nicht an und geht deshalb in seine WAHRE tiefste Höhle – den Kampf mit Vader, wo er schonungslos die Wahrheit "Ich bin dein Vater" um die Ohren gehauen bekommt.)

Die Geschichte von Nolans Batman erstreckt sich über drei Filme. "Batman Begins" ist der erste Akt, eine klassische Exposition. "The Dark Knight" ist Akt Zwei, hier zerrt der Joker Batman in seine (innere) tiefste Höhle und konfrontiert ihn mit der Erkenntnis, dass er in Wahrheit das ist, was er bekämpft (wie hier schon ausführlich beschrieben). Mit dieser Erkenntnis geht Batman in Akt Drei – "The Dark Knight Rises" (der Titel deutet übrigens so unmissverständlich auf eine Auferstehung hin, das eine "Übermythologisierung" der Pop-Figur Batman in diesen Filmen kaum geleugnet werden kann).

Wie in den anderen Filmen hat Batman auch hier einen Gegner, der im Prinzip er selbst ist. Bane ist eine Testosteron-Version von R'as al Ghul. Er wurde wie Bruce Wayne von al Ghul trainiert, der einzige Unterschied zwischen den Beiden ist, dass Bane im Gegensatz zu Bruce keine liebenden Eltern hatte und auch von R'as al Ghul verstoßen statt angenommen wurde. Bane ist zornig und daher konsequent und gnadenlos. Und so steht der – durch die Ereignisse im letzten Film – erschöpfte und desillusionierte Bruce Wayne einer zornigeren Version seiner selbst gegenüber, die im Gegensatz zu ihm bereit ist, konsequent zu handeln. Und weil Batman nicht mehr an sich glaubt, hat Bane leichtes Spiel und kann Batman besiegen. Er bricht ihm das Kreuz und wirft ihn in eine Höhle, wo Batman über einen Fernseher dem Untergang Gothams zusehen soll.



Batman erwacht also in einer tiefsten Höhle – wieder einmal etwas Urmythisches in diesem Stoff. Viele, mit denen ich über "The Dark Knight Rises" gesprochen habe, kritisieren diese Höhle, aus der die Gefangen, wenn ihr Wille stark genug ist, in die Freiheit klettern können.  Die Kritiker fanden die Höhle unrealistisch und fehl am Platz, fanden, dass Batmans Training dort unten langweilig ist und konnten sich nicht vorstellen, wie Batman es schafft, von der Höhle aus zurück nach Gotham zu kommen. Zumindest letzteres ist ein Einwand, der bei vielen vergleichbaren Dingen in den Batman-Filmen selten zu hören ist (etwa, wenn der Joker seine Pläne auf völlig unglaubwürdige und von irrwitzigen Zufällen abhängige Art und Weise umsetzt).

Ich glaube, die Höhle wird in Wirklichkeit nicht akzeptiert, weil sie zwar mythisch ist, sich aber nicht in den bisherigen mythischen Kontext der Geschichte einbettet. Batman hat gelernt, dass seine Methoden dazu führen, dass er seinen Gegnern zu ähnlich wird und er letztlich als Batman niemals zum Ziel kommen kann, da Batmans Existenz die Gegner bedingt und umgekehrt. Und was lernt Batman in der Höhle? "Lerne wieder, Angst zu haben, klettere hinaus und mache die Arschlöcher fertig!" Batman wird also wieder in seinen Zustand in "Batman Begins" und VOR seine Erkenntnis im zweiten Akt zurückgeworfen.

Hier wird die bisher erzählte mythische (und auch psychologisch dichte) Ebene nicht mehr ernst genommen. Die Erkenntnisse aus dem zweiten Akt helfen Batman nicht im dritten, wie es dramaturgisch richtig wäre. Stattdessen muss er die Erkenntnisse ignorieren, um zu gewinnen. Ein dramaturgischer Faux-pas, an dem die Geschichte zerbricht.
Jetzt ist Batman nur noch ein beliebiger Rächer, der den Kampf um Gotham für sich entscheidet. Das tut er als "normaler" Held, der die Welt rettet, in dem er eine Bombe aus der Stadt schafft.



Auch Bane kann er recht simpel besiegen. Weil Batman plötzlich ein "normaler" Held ist, ist Bane auch nur noch ein "normaler" Bösewicht.

Der dritte Akt ist oft nur eine entscheidende Schlacht am Ende einer Geschichte (sehr deutlich beweist das der Film "Die Rückkehr der Jedi-Ritter"). Auch "The Dark Knight Rises" handelt im Prinzip nur noch von der letzten großen Schlacht um Gotham, die die Existenz eines Superhelden überflüssig macht, so dass Batman (nicht unbedingt Bruce Wayne) endgültig sterben muss. Diese Schlacht erzählt der Film über weite Strecken eindrucksvoll, mit tollen Charakteren und einem hervorragenden Bösewicht. Doch ab der Mitte fehlt dem Film der Mut und Batman wird zu einem "konventionellen Helden" uminterpretiert, statt dass seine mythologische Reise mit voller Konsequenz zu Ende erzählt wird. Deshalb fühlt sich "The Dark Knight Rises" weniger dicht und "richtig" als "Batman Begins" und "The Dark Knight" an.

Bilder aus "Knightfall", (c) DC Comics


4 Kommentare:

  1. Ich finde Deinen auch hier (http://nullzwei.blogspot.de/2012/08/batman-tage-auf-02-batman-begins-dark.html) erläuterten Deutungsvorschlag sehr stimmig. Ich frage mich zum Beispiel, wie Gustav Gründgens wohl den Joker interpretiert hätte. Mit dem Bezug auf die christliche Mythologie wird dann auch klar, warum der Joker in The Dark Knight so eindrucksvoll ist und Bane in The Dark Knight Rises so langweilig. Denn der Joker steht für den Teufel höchstselbst, der Batman in Versuchung führt und Bane ist einfach nur ein blöder Römer. Was mich zu dem einzigen Satz führt, den ich an Deinem Text irritierend finde: "Diese Schlacht erzählt der Film über weite Strecken eindrucksvoll, mit tollen Charakteren und einem hervorragenden Bösewicht." Was ist an dem Bösewicht hervorragend? Was ist eindrucksvoll? Was gefällt Dir an den Charakteren? Den einzigen Hinweis, den ich inzwischen habe, ist, dass die, die den Film toll fanden, ihn wohl in der Originalfassung gesehen haben und nicht mit deutscher Synchronisierung - so wie ich. Aber es kann ja nicht nur daran liegen. Ich finde, der Film ist so zugepampt mit klischeehaften Dialogzeilen und vorsehbaren Wendungen, dass es im Prinzip vollkommen egal ist, dass die Charaktere "im Prinzip" gut ausgedacht und gespielt sind. Und dass die Story "im Prinzip" gut ausgedacht ist. Beispiele: Wer hat mit Alfred geweint, als er seine Florenz-Fernet-Branca-Geschichte erzählte? Wem wurde es warm ums Herz, als Bruce und Miranda am Kaminfeuer kuschelten und sie sagt: "Wir könnten zusammen weggehen..."? Wer war überrascht, wer eigentlich das Kind von R'as al Ghul ist? Wer war überrascht, wer Robin ist? Wer war von dem Flair von diesem "Gotham City" beeindruckt? Wer fand diese Catwoman-Interpretation interessant? Wer hat sich an diesen Actionszenen berauscht? usw. Soweit fürs erste von mir.

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  2. Oha, viel Stoff zum Nachdenken. Das werde ich tun und einen weiteren Post nächste Woche zum Abschluss der Batman-Tage nachreichen. ;) Aber freut mich, dass du meiner Argumentation grundsätzlich folgst!

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  3. Zum einen ist glaube ich nicht allein die christliche Mythologie gemeint. Bestimmte Motive finden sich ja schon in noch viel älteren überlieferten Religionen wieder. So ne Art "Urmythen der Menschheit" (die vielleicht auch deshalb immer wieder so gut funktionieren).

    Zum anderen hat Christoph glaube ich recht, wenn er in der dramaturgischen Schwäche auch die Schwäche von Bane usw. sieht. Joker funktioniert eben auch deshalb so gut, weil die Dramaturgie in TDK so gut ist - auch wenn er an manchen Stellen mehr als unlogisch ist, was - wäre die Dramaturgie schlechter - sicherlich ins Gewicht gefallen wäre.

    Was die Florenz-Alfred Geschichte angeht, kann ich dir nur Recht geben. Die passt so gar nicht in den Film & wurde vielleicht nur gedreht, weil irgendwer nicht wollte, dass Batman am Ende tot ist.

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  4. Nachtrag für Nicht-Gustav-Gründgen Fans: Ich beziehe mich auf die Mephisto-Darstellung von Gründgens bei Goethes Faust, zu sehen z.B. hier: http://www.youtube.com/watch?v=Ou3AV5i1754

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