Azad Duwod kann sich nicht vorstellen, sein "Büdchen met Hätz" an der Poststraße jemals aufzugeben. Der Kiosk ist Köln für ihn. Und sein zweites Leben. Eine Narbe am Hals erinnert an sein erstes Leben. 1991 steckte der Iraker noch in seiner Ausbildung zum Krankenpfleger, als er für sein Land an die Front musste. "Das war ein einziger Alptraum", erzählt er. "Ich habe viele Freunde sterben sehen. Und noch heute bekomme ich Angst, wenn ich Polizisten sehe."
Köln war die erste Stadt, die er von Deutschland zu sehen bekam. Doch erst vor zehn Jahren konnte er nach hier ziehen. Da lag ein Papierkrieg und ein Marathon durchs Land hinter dem ehemaligen Asylanten. "Ich hatte es auch sehr schwer, Deutsch zu lernen. An eine Fortsetzug meiner Ausbildung war nicht zu denken."
Und so wurde er deutscher Staatsbürger und eröffnete das Büdchen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Und um zur Stütze der Leute im Veedel zu werden. So erzählt ein junger Mann, dass der Kiosk wichtig für ihn war, um von Drogen loszukommen. Die Leute im Büdchen und Azad seien in schwierigen Zeiten eine große Hilfe gewesen. "Das war nicht einfach nur ,zum Kiosk gehen'. Das war, als würde man seine Familie besuchen."
Azad ist sich sicher: "Ich kenne von fast allen Leuten aus dem Viertel die Probleme und Sorgen." Und die sind gut bei ihm aufgehoben. "Fast jeder, der hier reinkommt, kommt auch wieder." Sind Büdchen also auch ein gutes Werkzeug zur Integration? "Auch jeden Fall", meint Marlies Merscheid. Sie arbeitet für die Mars Company und muss in regelmäßigen Abständen 600 Kölner Büdchen besuchen und prüfen, ob die Schokoriegel im Sinne der Firma ausgelegt sind und die Verfallsdaten beachet werden.
Marlies fällt nur ein Kiosk in ihrem Gebiet ein, der von einem Deutschen betrieben wird. "Unter den Betreibern gibt es Türken, Albaner, Russen", erklärt sie. "Die meisten sind mittlerweile ,echte Kölsche'." Marlies kommt ursprünglich aus Westfalen. Doch mit ihren rosa gefärbten Haaren und der dazu passenden rosa Lesebrille beweist sie, dass auch sie assimiliert ist. Schließlich sieht sie ein wenig wie ein leicht erblasstes "Fussisch Julche" aus.
"Ich sehe die Welt imer durch eine rosarote Brille. Deshalb würde ich behaupten, dass in Büdchen zu 99 Prozent tolle Menschen arbeiten", sagt sie. Nach einem rituell getrunkenen Kaffee mit Azad zieht sie förhlich weiter. "Hier die Tour mit einem Plausch zu beginnen, ist immer wieder schön."
Die Schüler der Hauptschule am Griechenmarkt haben den stressigen Teil des Tages bereits hinter sich. In der Mittagszeit überfallen sie das Büdchen gegenüber und kaufen bei Azad ein. Dabei dürfte sich Marlies von der Mars Company wenig über die Produktentscheidungen der Jugendlichen freuen. Azad positioniert die beliebtem "Yamyam"-Tütchen über Snickers, Twix und Mars, weil er weiß, dass die am besten weggehen.
Dabei handelt es sich um trockene Nudelsuppen, die eigentlich in Wasser aufgelöst werden müssen. Doch die Kids zerdrücken das Innere in der Plastikverpackung und essen es pur. Büdchen sind eben nicht nur Tradition – hier werden auch neue Trends geschaffen.
Franzi geht in die neunte Klasse der Hauptschule. Sie kauft sich klassische Süßigkeiten, um im Büdchen mit ihren Freundinnen den Schulalltag zu verarbeiten. Zusammen hören sie Musik aus Franzis MP3-Player. "Mama, wir danken dir" von Brings. Sehr passend an einem kölschen Ort, der sich ein bisschen nach Familie anfühlt.
Teile des Textes sind in der Aachener Zeitung erschienen.
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