Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!
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TÜRCHEN 19
TÜRCHEN 19
Lotte ließ sich erschöpft aufs Sofa sinken und betrachtete
die Geschenke. Vor ihr lag all das Zeug, das Mama eine Woche nach Weihnachten
(kurz nach Birtes Tod) weggeworfen hatte. All das Zeug, das Lotte nicht mehr
verdient hatte, weil Birte tot war. Lotte ballte ihre Hände zu Fäusten und
starrte auf die Spielsachen, die aus einem Berg von zerrissenem Geschenkpapier
zu wachsen schienen. Sie hatte sich damals über all diese Sachen gefreut. Und
dann hatte sie jedes einzelne Teil vergessen. Genau wie sie vergessen hatte,
dass Mama sie weggeworfen hatte. Doch nicht nur das: Sie hatte auch die paar
Tage vergessen, in denen Birte und sie mit all den Sachen gespielt hatten. Und
jetzt waren alle Erinnerungen wieder da.
Lotte wusste nicht, warum genau sie zu weinen begann. Aus
Selbstmitleid, weil ihr vor Augen geführt wurde, dass sie ihrer Kindheit
beraubt worden war? Aus Trauer über Birtes Tod? Aus Schock, weil sie alles
verdrängt hatte? Sie nahm ihre Brille ab und sah alle Geschenke nur noch
verschwommen und unscharf. Wie Präsente aus einer Geisterwelt. Was sie ja auch
streng genommen sind, oder?
Sie setzte die Brille wieder auf und trat ans Fenster. Der
Schneeregen war stärker geworden. Dicke Flocken und dünne Regentropfen flogen
durch das Licht der Straßenlaternen. Das Haus gegenüber war nun komplett
dunkel. Selbst der grell leuchtende Weihnachtsstern war ausgeschaltet. Es war
beunruhigend, dass draußen alles normal zu sein schien, wo doch hier im Zimmer
überhaupt nichts normal war.
„Magst du die Geschenke nicht?“ fragte plötzlich ein
schwaches Stimmchen. Lotte glaubte zunächst, die Stimme sei nur in ihrem Kopf.
Doch dann sagte sie energischer: „Hey! Ich habe dich etwas gefragt!“ Lotte
wendete sich vom Fenster ab. Zwischen dem Weihnachtsbaum und den Geschenken
stand ein Mädchen in einem weißen langen Kleid, das mit goldenen Sternen
geschmückt war. Das Kind hatte gewelltes blondes Haar, weiße Haut und leicht
gerötete Wangen. Das Christkind. Dachte Lotte. Der Plattenspieler spielte „Oh
du Fröhliche“. Die Schatten der Weihnachtspyramide tanzten über die Decke, die
Kerzen des Weihnachtsbaums flackerten nicht. Das Kind wirkte erhaben inmitten
dieses Szenarios, als könnte es jeden Moment schwebend vom Boden abheben.
„Erkennst du mich nicht?“ fragte das Mädchen mit dem dünnen
Stimmchen. Lottes Knie wurden weich, als ihr klar wurde, dass sie vergessen
hatte, wie ihre Schwester aussah. Das Kind in dem Christkind-Kostüm war Birte.
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