Sonntag, 8. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #8

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!
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TÜRCHEN 8


Lotte hatte die Beine an sich heran gezogen und den Teller mit den Nudeln zwischen die Knie geklemmt. Sie trug ihre Frottee-Hose mit der Maus und dem kleinen blauen Elefanten darauf. Dazu dicke Socken, die Oma vor einigen Jahren gestrickt hatte. In diesem Kuschel-Outfit kuschelte sie sich auf den Kuschelsessel, den Anja und sie zwei Wochen nachdem Lotte eingezogen war, auf der Straße gefunden hatten. Das Ikea-Sofa, das dem Sessel vor dem zu alten Röhren-Fernseher Gesellschaft leistete, hatte Anja vor über einem Jahr bei ihrem eigenen Umzug aus ihrem Kinderzimmer mitgebracht. Der Fernseher war aus, Lotte hatte ihr Macbook auf den kleinen Wohnzimmertisch gestellt, der das Wohnzimmer-Mobiliar komplett machte. Obwohl das Zimmer nicht sehr groß war, wirkte es mit den wenigen Möbel beinahe wie ein kleiner Ballsaal. Die Decken der Altbau-Wohnung waren deutlich über drei Meter hoch und mit Stuck verziert. In der Küche nebenan gab es keinen Stuck, da hier im Krieg eine Bombe durch die Decken gerauscht war. Auch die verschlungenen Rosen, die der Stuck an der Wohnzimmerdecke darstellte, waren zum Teil quer durch ihre weißen Gips-Blüten zerteilt worden. Eine dünne Wand teilte seit den 70er Jahren die ehemalige Großstadtwohnung aus dem frühen 20. Jahrhundert in zwei vermietbare Wohnungen ein. Die Vermieterin Frau Quandt („Ich habe nichts mit denen von BMW zu tun, glauben Sie ja nicht, dass ich reich bin!“) war fast 80 Jahre alt und stolz darauf, die Enkelin des ersten Besitzer des Hauses zu sein. („Mein Großvater lebte hier noch mit Personal, aber glauben Sie ja nicht, dass ich reich bin! Ist alles weg seit der Wirtschaftskrise. Also der aus den 20ern, die von heute kann man ja kaum so nennen. So lange die Leute noch Videospiele und all diesen Unsinn kaufen können, hamwer auch noch keine Krise.“) 

Frau Quandt hatte Lotte erzählt, dass sie genau darauf achtet, nur ordentliche Leute ins Haus zu holen, das ja einen Ruf zu verlieren hätte. Sie hatte wohl erwartet, Lotte wäre stolz, wenn sie indirekt erfahren würde, dass sie unter die Kategorie „ordentliche Leute“ fällt. Ob Mama mich da auch einsortieren würde? Frau Quandt hatte auch erzählt, wie sehr es damals geschmerzt hätte, die prächtigen Wohnungen mit Wänden zu durchtrennen. „Aber was will man machen, kriegt ja so große Wohnungen heute nicht mehr vermietet“, sie hatte mit einem krächzenden Lachen hinzugefügt: „Früher war vielleicht Wirtschaftskrise, aber gut gelebt hammse.“ Lotte hatte die abstruse Aussage unkommentiert gelassen, schließlich wollte sie nicht, dass Frau Quandt sie wieder aus der „Ordentliche Leute“-Akte nahm. Sie hatte unbedingt in dieser Wohnung wohnen wollen, die einem alten Schmuckkästchen gleichkam, in dem schon viele Kostbarkeiten aufbewahrt worden waren – und eventuell auch ein paar, die es nicht wert gewesen waren, aufbewahrt zu werden. Hier kann ich mich zu Hause fühlen. Hatte Lotte bei ihrer Führung durch die Wohnung gedacht, während der Anja mit Frau Quandt flirtete und betonte, dass sie ihr Zimmer nicht aufgeräumt hätte, obwohl es sich als absolut geleckt herausstellte. (Das war das letzte Mal gewesen, dass Lotte das Zimmer so ordentlich und unverqualmt gesehen hatte, aber Anja klärte Lotte schnell darüber auf, dass man Frau Quandt immer den Eindruck vermitteln musste, man könne jederzeit seine drei Ave Maria aufsagen.)

Anja und Lotte hatten gleich große Zimmer und teilten sich das spartanisch eingerichtete Wohnzimmer. Lottes Zimmer war ähnlich spartanisch. Sie war mit einem Rollkoffer voll Klamotten nach Köln gekommen, aus ihrem alten Zimmer wollte sie nichts mehr bei sich haben. Ein Regal, Schreibtisch und -stuhl und ein Lattenrost mit Matratze hatte sie sich leisten können, dann war fast ihr gesamtes Startkapital (das meiste waren Ersparnisse von einem Platzanweiser-Job im Kino) aufgebraucht gewesen. Lotte wollte nichts um sich herum haben, was sie an Mama, Papa und (Birte) ihre Kindheit erinnerte. Köln sollte ein Neubeginn sein. Anja dagegen hatte quasi ihr gesamtes Kinderzimmer von Bayern nach Köln exportiert. Inklusive eines riesigen Lebkuchen-Herzens, das ihr Freund Dennis auf einem Oktoberfest gekauft hatte. Und auf dem natürlich „I moag di“ stand. Dennis war in Bayern geblieben und Anja versuchte, ihn an jedem Wochenende zu sehen. Der Draht in die Heimat wurde so oft wie möglich genutzt, während Lotte alles mögliche tat, ihn zu durchtrennen.

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