Dienstag, 3. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #3

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!
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TÜRCHEN 3


Es hatte kein Weihnachten mehr gegeben wie das nach Birtes Tod. Lotte erinnerte sich, wie Oma mit ihrer Tochter geschimpft hatte, dass sie sich trotz allem nicht um ein vernünftiges Fest für Lotte bemüht hatte. „Anna, ihr habt ihr noch ein Kind, das lebt!“, hatte sie so oft gesagt, bis Lotte irgendwann gedacht hatte, dass es für Mama und Papa vielleicht praktischer wäre, auch tot zu sein. Im Jahr darauf hatte Papa wieder ein Nikolaus-Kostüm getragen, aber nicht gefragt, ob Lotte brav gewesen sei. Auch das Christkind war wieder da gewesen und hatte das Glöckchen geläutet, bevor Lotte das Wohnzimmer betreten durfte. Diesmal wusste sie, dass die Geschenke von Mama unter den Baum gelegt worden waren. Oma und Opa kamen und reden sogar mit Papa ein paar Worte, obwohl Lotte wusste, dass sie das nicht gern taten. Lotte wusste, dass Weihnachten ein Schauspiel war, das alle nur für sie aufführten. Es wurde aufgeführt, bis sie zwölf Jahre alt war. In dem Jahr starb Opa. Papa kam nicht zu seiner Beerdigung.

„Papa ist in einer Ent-Zugs-Klinik“, erklärte Mama. Sie dachte vielleicht, dass das Wort seine Bedrohlichkeit verliert, wenn man es in Einzelteile zerlegt. Wenn man es zerteilen kann, ist auch „Entzugsklinik“ nur ein gewöhnliches Wort wie jedes andere.
Bilder von ihrem Vater, der wirres Zeug schrie, der heulend wie ein geprügelter Hund Entschuldigungen vorbetete, der sich beim Fernsehen in die Hose machte, schossen durch Lottes Kopf. Sie stellte logisch fest: „Das ist gut. Er trinkt zuviel. Seit Birte tot ist“, Mama schaute sie verdutzt an, woraufhin Lotte – ohne zu wissen, wie sie darauf kam – hinzufügte: „Aber das ist nicht deine Schuld.“ 
„Na, wenn du schon alles weißt, dann müssen wir das Gespräch ja gar nicht führen“, sagte Mama und brach unmittelbar in Tränen aus, stammelte immer wieder „Es tut mir leid, ich wollte das nicht sagen, Charlotte“. Lotte stand auf und drückte ihre Mutter an sich. Sie wusste, dass sie Dinge besser verkraftete als Mama und Papa. Sie hatte auch Birtes Tod besser verkraftet. Und sie spürte die beunruhigende Gewissheit, dass es falsch war, dass sie der Tod ihrer Schwester nicht so sehr bekümmerte wie ihre Eltern.

1 Kommentar:

  1. Im Jahr darauf hatte Papa wieder ein Nikolaus-Kostüm getragen, aber nicht gefragt, ob Lotte brav gewesen sei. Auch das Christkind war ... nikolauskostuem.blogspot.de

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