Donnerstag, 4. Juli 2013

Sag "Superman"! Und nicht lachen!


Ein Theatervorhang öffnet sich und offenbart ein schwarz-weißes Comicheft. 1938: Ein Junge liest die Geschichte von Superman, die nach dem Vorspann ohne weitere Erklärung im Jahr 1978 weiter erzählt wird. Im immer noch besten Superman-Film und dem ersten mit Christopher Reeve ist Superman schon ein Anachronismus. Eine Figur aus den 30er Jahren, die kostümiert ist wie ein "Starker Mann" aus einem Zirkus (rote Unterhose über blauem Strampelanzug). Das machte in den 30ern vielleicht Eindruck, in den 70ern ist das Outfit bereits uncool.


Superman nicht lächerlich wirken zu lassen, war also schon damals schwierig. Regisseur Richard Donner und Drehbuchautor Mario Puzo gingen das Problem clever an: Sie machen in den ersten Minuten deutlich, dass sie ein theatralisches Märchen (der Vorhang öffnet sich) aus einer vergangen Zeit (1938) erzählen, das durch die Augen eines Kindes betrachtet werden sollte (Junge liest ein Comicheft). Sie erzählen eine Geschichte, in der der Zuschauer nicht über Sinn und Unsinn nachdenken sondern einfach nur staunen soll.

Seitdem wurden die Superhelden in ihren Comicgeschichten von kindlichen Fantasien weg und quer durch alle denkbaren düsteren Gefilde geschleift. Eine rein kindliche Sicht auf diese Figuren ist nicht mehr möglich. Naive Heldenstories ohne Hintersinn scheinen nicht mehr zeitgemäß. Das Zielpublikum besteht zu großen Teilen aus Menschen, die mit den Superhelden aufgewachsen und gealtert sind. Sie wollen sie nicht mehr so betrachten, wie sie es als Kinder getan haben. Sie wollen, dass "ihre Helden" Bedeutendes tun und erzählen. Nicht wenige messen Superhelden-Mythen eine große (fast religiöse) Bedeutung in ihrem eigenen Leben bei. (Wie sonst wäre es möglich, dass "The Big Bang Tehory", eine Serie, die zu großen Teilen aus Diskussionen rund um den Sinn von Comic-Mythologien besteht, eine der erfolgreichsten TV-Serien der Welt ist?)

Es geht nicht mehr ums Staunen über fantastische Welten und spektakuläre Effekte. Beides hat heute jeder Blockbuster zu bieten. Blockbuster, die sich aus der Effektmasse abheben wollen, müssen die Zuschauer über ihre Geschichte zum Staunen bringen. Und das funktioniert im Superhelden-Genre nur, wenn der mythologische Kern des Helden hinter dem Effektgewitter zum Vorschein kommt und bewiesen wird, dass der Held zeitlos und somit nicht anachronistisch ist.

Eine schwierige Aufgabe für die Kreativen, die aus dem „Mann mit roter Unterhose über blauem Strampelanzug“ einen funktionierenden (und finanziell lukrativen) Film machen müssen. Mit welcher These kann Superman zu einer ernst zu nehmenden mythischen Figur mit menschlichem Kern gemacht werden, die vom Anachronismus wieder zum Held aller Jugendlichen zwischen 12 und 42 wird?

Beim letzten Versuch „Superman Returns“ (2006) beschritt das Team rund um Regisseur Bryan Singer einen ähnlichen Weg wie Donner/Puzo 1978. Sie erklärten Christopher Reeves Superman zu einem Relikt aus einer anderen Ära, indem sie exakt mit dem selben Vorspann wie '78 den Film eröffneten und anschließend Supermans Freundin Lois Lane die Zeitungsschlagzeile "Warum die Welt Superman nicht braucht" schreiben ließen. Die Botschaft: „Ja, wir wissen, dass die Figur Superman altmodisch ist und nicht mehr zu dieser Welt passt, in der kein Superheld mehr unschuldige Pfadfinder-Tugenden haben darf. Und trotzdem erzählen wir euch jetzt einen Film mit genau so einer Figur und beweisen, dass der alte US-Army-Propaganda-Kamerad auch heute noch cool sein kann!“ Am Ende des Films schrieb Lois dann den Artikel „Warum die Welt Superman braucht“.
Der Fehler: Der gleichen naiven Figur, die 1978 eine reine Märchengestalt war, sollte der Zuschauer 2006 plötzlich eine große Bedeutung oder einen höheren Sinn beimessen. Die Filmemacher blickten nicht durch die Augen eines Kindes auf Superman sondern durch die von analytischen Erwachsenen. Die Figur konnte diesem Blick nicht standhalten (und ihn nicht einmal mit ihren tödlichen Laseraugen erwidern).

Jetzt läuft der neue Superman-Wiederbelebungs-Versuch "Man of Steel" im Kino. Christopher Nolan hat produziert und am Drehbuch geschrieben. Immerhin hatte er schon Batman wieder cool gemacht, indem er die Figur in die moderne Welt und gleichzeitig zu ihrem mythologischen Ursprung zurück versetzte. Zack Snyder führt Regie. Ein Filmemacher, der die Spartaner zu obercoolen Supermännern machen konnte, wird wohl bei einem Superman allein nicht viel falsch machen können.

Bei der Auswahl ihrer Grundthese machen Nolan und Snyder alles richtig. Sie nehmen ein Thema, das nicht wie bei Singers „Returns“ nach hinten gerichtet ist („Warum die Welt Superman nicht braucht“) sondern nach vorne: „Ist die Welt schon bereit für Superman?“ Ein frecher Ansatz: „Ja, wir wissen, dass Superman nicht cool ist. Aber vielleicht DENKT ihr nur, er sei nicht cool, weil ihr zu abgeklärt und übersättigt seid!" Wir schauen nicht mehr mit Kinderaugen auf den Superhelden und daher können wir nicht mehr über ihn staunen.

Der Trailer zu „Man of Steel“ verspricht einen großartigen Film rund um diese These:


Was könnte dies für ein Film sein! Auf die Erde (die in ihrer Aufgeklärtheit recht düster und farbarm gezeigt wird – im Gegensatz zum mythischen Fantasy-Planeten Krypton) kommt ein gott- und menschenähnliches Alien, das seine Fähigkeiten geheim halten muss, um sich selbst vor den Menschen zu schützen. Die Menschen könnten einen Gott nicht akzeptieren. Weil sie (wie der Zuschauer) das Staunen verlernt haben und jemanden, der stärker ist, nur als Bedrohungen empfinden können. Aus Furcht würden die Menschen versuchen, Superman zu vernichten – auch wenn er ihnen eigentlich nur helfen will. Aus Superman wird ein Gott, der lieber ein einfacher Mensch sein will. Im Ansatz zu "Man of Steel" steckt (wie bei Nolans Batman-Filmen) eine urmythische Geschichte. Die perfekte Grundlage für einen Event-Film, der zum modernen Klassiker werden könnte.

Was in Trailern versprochen wird, ist in den allermeisten Fällen das, worum es im zweiten Akt eines Films geht. Die Prämisse ist die zentrale Aufgabe des Helden. Sie ist sein innerer Konflikt. „Die Welt ist noch nicht bereit für Superman“ ist also Supermans Hauptproblem, denn es bedeutet für ihn: „Die Welt ist nicht bereit für dich, du gehörst hier nicht hin“.

Wie könnte die Geschichte also aussehen? Ich würde sie so umreißen:
Superman kommt als Clark Kent auf die Erde. Sein Stiefvater hat hohen Respekt vor seinen Fähigkeiten und weiß nicht, wie er mit ihnen umgehen soll. Er fürchtet sich insgeheim vor seinem Adoptivsohn und will, dass er so normal wie möglich ist. Daher kommt er zu dem Schluss, es sei besser, Clark würde seine Fähigkeiten geheim halten. Clark fürchtet sich daher vor sich selbst und schämt sich für das, was er ist. Er will als normaler Junge leben und geliebt werden. Nach dem Tod des Stiefvaters zieht Clark los und versucht seinen Platz in der Welt zu finden. Doch er kann ihn nicht finden, denn permanent von seinen Fähigkeiten und Kräften gequält, ist Clark unfähig, sich in Gesellschaft aufzuhalten. Wenn er dem Drang nachgibt und doch etwas von seinen Kräften offenbart, reagieren die Menschen mit Hass oder Abneigung. Er fürchtet sich weiterhin vor sich selbst - wie soll er da mit anderen Menschen vertraut werden?
Nachdem Clark von seiner interstellaren Herkunft erfährt und seine (unterhosenfreie) Rüstung erhält, weigert er sich, seiner Bestimmung als Superheld zu folgen. Warum soll er einer Welt helfen, zu der er niemals gehören kann? Kann er überhaupt helfen, ohne Angst zu verbreiten oder gar die zu verletzten, denen er helfen will?
Clark Kent muss schließlich erkennen, dass die Menschen nur vor ihm zurückweichen, weil er nicht zu sich selbst stehen kann. Supermans Herausforderung im dritten Akt muss also sein, seine Furcht vor den eigenen Kräften zu überwinden und den Menschen zu vermitteln, dass sie ihn lieben und ihm vertrauen können.
"Das Ungewöhnliche kann die Welt bereichern, wenn wir es zulassen und es nicht fürchten", sollte konsequenterweise die abschließende (und hollywoodwirksame) Botschaft des Films sein.

Im Idealfall würde die Story also genau gegenteilig zu der des 78er-Films funktionieren: Superman wird durch die Augen eines Erwachsenen analysiert und kann daher nur furchterregend sein. Am Ende kommen wir zu dem Schluss, dass wir über das Fremde und Göttliche staunen können müssen, damit es unser Leben bereichern kann. Nur so kann eine anachronistische Figur wie Superman Akzeptanz finden und in einem modernen Film funktionieren.

Doch in „Man of Steel“ wird die Prämisse zwar angelegt aber nicht ernst genommen. Sie wird im ersten Akt angerissen - ausschließlich mit den wenigen Szenen, die auch im Trailer zu sehen sind. Die werden als kleine Häppchen zwischen die vielen tösenden und inhaltsleeren Sequenzen in der ersten Filmhälfte geworfen und können kaum beim Zuschauer haften bleiben.
Sobald Superman seine Rüstung anlegt, gestehen ihm die Filmemacher keinen inneren Konflikt mehr zu. So als hätten sie in diesem Moment ihre lästige Pflicht getan und müssten nur noch ein Feuerwerk zünden, mit dem Superman abgefeiert wird. Der Held verbringt die restliche Filmzeit ausschließlich damit, sich mit anderen starken Figuren zu prügeln - und macht damit mehr von der Erde kaputt als er rettet. Zwischenmenschliche Konflikte kommen nicht mehr vor.
Statt einer epischen Heldenreise - wie im Trailer versprochen - gibt es nur eine epische Klopperei.

Im Interview mit Spiegel Online sagte Regisseur Zack Snyder:

SPIEGEL ONLINE: Wie gewichten Sie Ästhetik und Erzählung?
Snyder: Für mich geht es voll und ganz um Ästhetik. Wir formen Bilder in unseren Köpfen, wenn wir Geschichten hören. Wenn man liest, wie jemand einen Ballsaal mit Spiegeln an den Wänden und ausladenden Lüstern betritt, sind das ja nicht bloß Worte. Man macht sich ein Bild davon, und wer das nicht tut, ist verrückt.

Snyder will das Publikum zum Staunen bringen - ausschließlich über visuelle Effekte, optische Eindrücke und bombastische Ereignisse. Die Figur soll dahinter verschwinden, so dass der Zuschauer vergisst, dass sie nicht zeitgemäß oder uncool ist. Dass (wie oben beschrieben) wahres Staunen im modernen Blockbuster-Kino nur möglich ist, wenn hinter der Effekt-Übersättigung der Kern eines Mythos erstrahlt, scheint Snyder zu ignorieren.
Ganz im Gegensatz zu Nolan, der es in seinen Batman-Filmen geschafft hat, Batman und den Joker auf ihren jeweiligen Kern zu reduzieren und so seine Filme zu Klassikern zu machen. Batman ist die Figur, die konsequent ihre eigene Furcht überwindet, indem sie sie als Waffe gegen ihre Feinde benutzt. Batman wird zu einer Figur, die Angst und Schrecken in eine mythischen (Fledermaus-)Gestalt verkörpert. Der Joker ist die pure Verkörperung des Chaos, ein Harlekin des Bösen, der nicht einmal eine Biografie oder irdische Herkunft hat sondern eine rein theatralische Gestalt ist.

Batman instrumentalisiert seine Furcht, um Kraft zu bekommen. Superman - die Antithese zu Batman im DC-Universum - sollte seine Furcht überwinden, um stark zu werden. Doch Snyder und Nolan sind in "Man of Steel" nicht bereit, sich so weit auf auf ihre eigene Figur einzulassen. Sie scheinen selbst nicht fähig zu sein, über sie staunen zu können und hinterfragen sie nur. Daher darf Superman auch keinen inneren Konflikt ausfechten. Der wird irgendwo zwischen mehreren Explosionen, einem Tornado und vielen einstürzenden Hochhäusern einfach vergessen.

Dass Snyder und Nolan ihren Superman nicht ernst nehmen können oder wollen, zeigt sich daran, dass sie nicht einmal seinen Namen zulassen. Sie blenden entweder ein Störgeräusch ein oder lassen Nebenfiguren in Gelächter ausbrechen, wenn jemand im Film „Superman“ sagt. Wenn man nicht einmal den Namen der Hauptfigur akzeptieren kann, wie soll man sie dann zu einer ernst zu nehmenden großen Gestalt aufbauen?

Deshalb scheitert leider auch der neue Superman-Film, obwohl er die spannendsten Ansätze aller bisherigen Fassungen bietet. Das hat immerhin ein Gutes: Christopher Reeve bleibt weiterhin der coolste Film-Superman aller Zeiten! Er ist der einzige, der voll und ganz zu seiner Identität und seinem Namen stehen kann. Und daher kann er uns auch heute noch mit roter Unterhose über blauem Strampelanzug zum Staunen bringen.