Donnerstag, 25. September 2014

oh entspricht dem Zettgeist


Asja, Caro und ich – also dreiviertel Mitglieder der oh-Magazin-Crew – durften heute morgen im epischen (Folge #196 !!!) Zettgeist-Podcast unseres Verlags Zwerchfell erzählen, was wir so tun. Wir haben das so charmant wie möglich gelöst:

Sonntag, 4. Mai 2014

Ein Plädoyer für Jar Jar Binks



Heute ist der 4. Mai. Und weil die englische Übersetzung May the 4th an „May the Force be with you", also die Star Wars-Floskel „Möge die Macht mit dir sein", erinnnert, wurde der 4. Mai zum Star Wars-Tag erklärt. Es ist der perfekte Tag, um einen Text zu schreiben, der für Star Wars-Fans eigentlich nicht denkbar ist: Ich will erklären, warum Jar Jar Binks im Kern eine gute Filmfigur ist, die perfekt ins Star Wars-Universum passt. Ich will niemanden erschrecken, schon gar keine Star Wars-Fans am 4. Mai, doch es geht tatsächlich um das tollpatschige und unerträglich alberne Amphibienwesen, dem gerne die Hauptschuld an der schlechten Qualität von „Episode 1 - Die dunkle Bedrohung" gegeben wird.

Jar Jar Binks hat keine Schuld. Die Figur hat nur die selben Schwächen wie der gesamte Film: Im Kern gut konzipiert und richtig ausgedacht, in der Umsetzung wurde beinahe alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden kann. Um die grundsätzliche Qualität von Jar Jar Binks zu verstehen, muss klar gemacht werden, was Star Wars eigentlich ausmacht. Die weit weit entfernte Galaxis wird bevölkert von Wesen und Menschen, die fast ausschließlich aus der Popkultur stammen. Han Solo ist der Western-Held, Chewbacca ein Wesen aus dem „Zauberer von Oz", Obi Wan-Kenobi eine Mischung aus Samuari und Kreuzritter, Lando Calrissian ein Gauner aus einem Blacksploitation-Film, R2-D2 scheint direkt aus einer Flash Gordon-Folge zu stammen, C3PO ist die homosexuelle Variante des Roboters aus Fritz Langs „Metropolis". In diese Reihe fügt sich Jar Jar Binks nahtlos ein: Die tollpatischige Amphibie ist ein Slapstick-Charakter, der ganz im Sinne von Stummfilm-Helden wie Buster Keaton funktioniert. Bei Jar Jar handelt es sich um den ersten vollanimierten Charakter in einem Spielfilm. Ihn daher als Figur anzulegen, die sich auf die Anfangszeit des Kinos besinnt, ist sehr clever und könnte gut funktionieren.

Auch die Background-Geschichte stimmt: Jar Jar ist sehr unreif, wird verstoßen und darf erst wieder zurückkommen und in der Gesellschaft aufgenommen werden, wenn er erwachsen geworden ist. Das erinnert sehr an die Stummfilm-Geschichten von Harold Lloyd. Im Klassiker „Safe Last!" (der Film mit der berühmten Szene, in der Lloyd am Zeiger einer Uhr hängt), wird die Hauptfigur in die große Stadt geschickt und darf erst zurückkommen, wenn sie „ein gemachter Mann" geworden ist. Als typische Slapstick-Figur kämpft Lloyd im Folgenden gegen die Widrigkeiten der großen weiten Welt. Ein Kampf von David gegen Goliath, in dem David der Tollpatsch ist und Goliath die Gesellschaft. Wäre dieses Motiv bei „Episode I" ernst genommen und gut ausgearbeitet worden, hätte der Tollpatsch Jar Jar in der riesigen Galaxis eine durchaus mitreißende funktionierende (Stummfilm-)Geschichte erleben können.

Im ersten Star Wars-Film (wer bis hierhin gelesen hat, der weiß, dass es sich um „Episode IV" handelt), wurden diese Elemente noch ernst genommen. R2-D2 und C3PO sind Clowns-Figuren und die ersten 15 Minuten lang auch die Protagonisten des Films. George Lucas ist 1977 ein großes Risiko eingegangen: Er hat seine Weltraum-Saga mit zwei albernen streitenden Robotern begonnen und nicht mit strahlenden Helden, die zur einfachen Identifikation einladen. Da die Figuren aber perfekt ausgearbeitet sind und ihre tragische Geschichte (sie stranden auf einem Planeten und wissen nicht, was sie tun sollen) ernst genommen wird, folgt der Zuschauer ihnen gerne. Durch diesen ungewohnten Einstieg sorgt Lucas dafür, dass wir in den ersten Filmminuten die Galaxis als sehr fremden und ungewöhnlichen Ort wahrnehmen, in dem wir uns erst orientieren müssen.

Wäre Jar Jar ein tollaptschiger tragischer Held, mit dem wir so mitleiden wie mit Buster Keaton oder Harold Lloyd in ihren Filmen, dann hätte „Episode I" sogar mit ihm als Figur beginnen können. Wir hätten Jar Jars Verbannung und seinen Aufbruch ins Abenteuer miterlebt. Zusammen mit ihm hätten wir, ähnlich wie mit den Robotern in "Episode IV", die Jedi-Ritter und die Star Wars-Galaxis kennengelernt. Dieses Potenzial steckt in der Figur, doch es wurde leider nicht ausgeschöpft - so wie fast alles Potenzial in Episode I-III ungenutzt blieb. Aber das ändert nichts daran, dass Jar Jar im Kern eigentlich ein ziemlich guter Typ ist, der es nicht verdient hat, gehasst zu werden. Schon gar nicht am 4. Mai.

Sonntag, 2. März 2014

Oscar-Tipps 2014


BESTER FILM
12 Years a Slave

HAUPTDARSTELLER
Matthew McConaughey

HAUPTDARSTELLERIN
Judi Dench

NEBENDARSTELLER
Michael Fassbender

NEBENDARSTELLERIN
Julia Roberts

ANIMATIONSFILM
Frozen

KAMERA
Gravity

KOSTÜM
The Great Gatsby

REGIE
12 Years a Slave

DOKU
The Act of Killing

DOKU KURZ
Karama has no Walls

SCHNITT
12 Years a Slave

FREMDSPRACHIGER FILM
The Broken Circle Breakdown

MAKEUP
Dallas Buyers Club

FILMMUSIK
Philomena

SONG
The Moon Song

SZENENBILD
The Great Gatsby

ANIMIERTER KURZFILM
Mr. Hublot
KURZFILM
Helium

TONSCHNITT
Gravity

TON
Gravity

EFFEKTE
Gravity

ADAPTIERTES DREHBUCH
Philomena

DREHBUCH
Her

Montag, 27. Januar 2014

Spontane Kritik zu "Blau ist eine warme Farbe"


Ich hab gestern endlich den umstrittenen Cannes-Gewinner "Blau ist eine warme Farbe" nachgeholt und wurde um eine spontane Kritik im Facebook-Chat gebeten, die dann so lang wurde, dass ich sie einfach (in redigierter Form) hier veröffentliche:

"Blau ist eine warme Farbe" erzählt eine wunderschöne Liebesgeschichte zwischen den jungen Frauen Adèle (Adèle Exarchopoulos) und Emma (Léa Seydoux). Dabei handelt es sich nicht um eine Geschichte über das Lesbisch-Sein sondern um eine sehr universelle Auseinandersetzung mit der Liebe an sich: Mit ihren Mysterien, ihren Abgründen und ihrer Sinnlichkeit. Beide Hauptfiguren sind fantastisch ausgearbeitet, die Dialoge sind toll geschrieben und Regisseur Abdellatif Kechiche gibt den Emotionen so viel Raum, dass sie sich aus der Leinwand heraus entfalten und die Zuschauer verzücken oder ihnen ernsthaft wehtun. In seinen besten Momenten schafft "Blau ist eine warme Farbe" wahre Kinomagie und ist zurecht mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden.

Auch die Kamera war toll. Der Film ist recht konsequent ins Close-Ups erzählt. Das ist zwar eklig, wenn man Leuten beim Spaghetti-Zerkauen in Hochauflösung zusehen muss, sorgt aber dafür, dass man sehr intensiv in den Film und die Gefühlswelt von Adèle gesaugt wird, die man ihr aus dem Gesicht ablesen kann. Wenn ab und an in eine Halbtotale gesprungen wird (Totalen gibt es eigentlich nie), hat der Zuschauer das Gefühl, mit Adèle eine außerkörperliche Erfahrung zu erleben. So ist der Film naturalistisch und magisch zugleich. Eine großartige Leistung

Aber muss der Film wirklich 180 Minuten lang sein? Offensichtlich braucht er viel Erzählzeit, damit sich die Emotionen entfalten können. Gleichzeitig werden aber sämtliche Plot-Twists, die für große Konflikte sorgen könnten, tapfer von der Story ignoriert. Kechiche wollte offensichtlich, dass der Zuschauer so etwas wie "eine Story" vergisst und sich ganz der Emotion und dem gefühlten Moment hingibt. Sind 180 Minuten dafür nötig? Ìch weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob die sehr expliziten und ausschweifenden Sexszenen, die wohl (Lars von Trier hat es ja oft genug mit seinen Filmen vorgemacht) für Aufmerksamkeit auf den Festivals sorgen sollten, nötig gewesen wären. Andererseits ist es konsequent, den Explosionen der Lust ähnlich viel Raum zu geben wie den Szenen voller Liebe - beides gehört schließlich zusammen, zumindest in diesem Film.

Ich weiß nicht, ob ich den Film nicht doch besser gefunden hätte, wenn manche Konflikte weiter erzählt worden wären. Ich hätte zum Beispiel gerne erfahren, wie Adèle mit ihren Eltern umgeht, die nichts von ihrer Homosexualität wissen. Bricht sie mit ihnen? Versöhnt sie sich? Der Film erzählt weder das eine noch das andere. Und - wie gesagt - der Konflikt wurde offensichtlich absichtlich weg gelassen. Doch nützt die Auslassung der Story oder schadet sie ihr eher?

Ich bin sehr unentschlossen. Ich hätte mit aber gewünscht, manche Motivation von Adèle klarer zu verstehen. Was macht sie zu einer Frau, die nicht loslassen kann? Wieso kann sie nie über ihren eigenen Schatten springen und sich weiter entwickeln? Und warum ist Emma umgekehrt plötzlich so gnadenlos und brutal, dass sie Adèle von einem Moment auf den anderen aus ihrem Leben wirft? Der Regisseur und die Hauptdarstellerinnen kennen die Figuren gut genug, so dass alle Handlungen glaubhaft sind. Aber nachvollziehbar sind sie nicht unbedingt immer - und so glaube ich, der Film hätte eher gewonnen als verloren, wäre manches nicht offen gelassen worden.


Erst nach dem Kinobesuch habe ich gelesen, dass der Film auf einer Comic-Vorlage basiert. Das ist sehr interessant, denn die Comic-Dramaturgie lebt viel stärker von großen Auslassungen als die des Films. Im Comic muss der Leser wenige Bilder im Kopf selbstständig zu kompletten Szenen oder Szenarien zusammensetzen. Was zwischen den Panels fehlt, wird durch die Fantasie ergänzt. Im Film gibt es diese Auslassungen normalerweise nicht. In Comic-Verfilmungen werden daher oft Lücken geschlossen und Erklärungen geliefert, die in den Vorlagen fehlen. Figuren sind in Filmen stärker motiviert als in Comics. Ich habe die Vorlage nicht gelesen, habe aber den Eindruck, dass sich Kechiche vorgenommen hatte, den Erzähl-Stil des Comics beizubehalten. So ist zumindest ein spannendes Film-Kunstwerk entstanden, das mich berührt hat, das ich aber wohl erst dann besser verstehe, wenn ich es mit der Vorlage verglichen habe.

Aber vielleicht sollten manche Geschichten einfach nicht analysiert und verstanden werden, um sie nicht zu zerstören. Das ist zumindest die Meinung von Adèle, mit der sie sich in den ersten Filmminuten dem Zuschauer vorstellt.