Sonntag, 4. Mai 2014

Ein Plädoyer für Jar Jar Binks



Heute ist der 4. Mai. Und weil die englische Übersetzung May the 4th an „May the Force be with you", also die Star Wars-Floskel „Möge die Macht mit dir sein", erinnnert, wurde der 4. Mai zum Star Wars-Tag erklärt. Es ist der perfekte Tag, um einen Text zu schreiben, der für Star Wars-Fans eigentlich nicht denkbar ist: Ich will erklären, warum Jar Jar Binks im Kern eine gute Filmfigur ist, die perfekt ins Star Wars-Universum passt. Ich will niemanden erschrecken, schon gar keine Star Wars-Fans am 4. Mai, doch es geht tatsächlich um das tollpatschige und unerträglich alberne Amphibienwesen, dem gerne die Hauptschuld an der schlechten Qualität von „Episode 1 - Die dunkle Bedrohung" gegeben wird.

Jar Jar Binks hat keine Schuld. Die Figur hat nur die selben Schwächen wie der gesamte Film: Im Kern gut konzipiert und richtig ausgedacht, in der Umsetzung wurde beinahe alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden kann. Um die grundsätzliche Qualität von Jar Jar Binks zu verstehen, muss klar gemacht werden, was Star Wars eigentlich ausmacht. Die weit weit entfernte Galaxis wird bevölkert von Wesen und Menschen, die fast ausschließlich aus der Popkultur stammen. Han Solo ist der Western-Held, Chewbacca ein Wesen aus dem „Zauberer von Oz", Obi Wan-Kenobi eine Mischung aus Samuari und Kreuzritter, Lando Calrissian ein Gauner aus einem Blacksploitation-Film, R2-D2 scheint direkt aus einer Flash Gordon-Folge zu stammen, C3PO ist die homosexuelle Variante des Roboters aus Fritz Langs „Metropolis". In diese Reihe fügt sich Jar Jar Binks nahtlos ein: Die tollpatischige Amphibie ist ein Slapstick-Charakter, der ganz im Sinne von Stummfilm-Helden wie Buster Keaton funktioniert. Bei Jar Jar handelt es sich um den ersten vollanimierten Charakter in einem Spielfilm. Ihn daher als Figur anzulegen, die sich auf die Anfangszeit des Kinos besinnt, ist sehr clever und könnte gut funktionieren.

Auch die Background-Geschichte stimmt: Jar Jar ist sehr unreif, wird verstoßen und darf erst wieder zurückkommen und in der Gesellschaft aufgenommen werden, wenn er erwachsen geworden ist. Das erinnert sehr an die Stummfilm-Geschichten von Harold Lloyd. Im Klassiker „Safe Last!" (der Film mit der berühmten Szene, in der Lloyd am Zeiger einer Uhr hängt), wird die Hauptfigur in die große Stadt geschickt und darf erst zurückkommen, wenn sie „ein gemachter Mann" geworden ist. Als typische Slapstick-Figur kämpft Lloyd im Folgenden gegen die Widrigkeiten der großen weiten Welt. Ein Kampf von David gegen Goliath, in dem David der Tollpatsch ist und Goliath die Gesellschaft. Wäre dieses Motiv bei „Episode I" ernst genommen und gut ausgearbeitet worden, hätte der Tollpatsch Jar Jar in der riesigen Galaxis eine durchaus mitreißende funktionierende (Stummfilm-)Geschichte erleben können.

Im ersten Star Wars-Film (wer bis hierhin gelesen hat, der weiß, dass es sich um „Episode IV" handelt), wurden diese Elemente noch ernst genommen. R2-D2 und C3PO sind Clowns-Figuren und die ersten 15 Minuten lang auch die Protagonisten des Films. George Lucas ist 1977 ein großes Risiko eingegangen: Er hat seine Weltraum-Saga mit zwei albernen streitenden Robotern begonnen und nicht mit strahlenden Helden, die zur einfachen Identifikation einladen. Da die Figuren aber perfekt ausgearbeitet sind und ihre tragische Geschichte (sie stranden auf einem Planeten und wissen nicht, was sie tun sollen) ernst genommen wird, folgt der Zuschauer ihnen gerne. Durch diesen ungewohnten Einstieg sorgt Lucas dafür, dass wir in den ersten Filmminuten die Galaxis als sehr fremden und ungewöhnlichen Ort wahrnehmen, in dem wir uns erst orientieren müssen.

Wäre Jar Jar ein tollaptschiger tragischer Held, mit dem wir so mitleiden wie mit Buster Keaton oder Harold Lloyd in ihren Filmen, dann hätte „Episode I" sogar mit ihm als Figur beginnen können. Wir hätten Jar Jars Verbannung und seinen Aufbruch ins Abenteuer miterlebt. Zusammen mit ihm hätten wir, ähnlich wie mit den Robotern in "Episode IV", die Jedi-Ritter und die Star Wars-Galaxis kennengelernt. Dieses Potenzial steckt in der Figur, doch es wurde leider nicht ausgeschöpft - so wie fast alles Potenzial in Episode I-III ungenutzt blieb. Aber das ändert nichts daran, dass Jar Jar im Kern eigentlich ein ziemlich guter Typ ist, der es nicht verdient hat, gehasst zu werden. Schon gar nicht am 4. Mai.

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