Donnerstag, 31. Oktober 2013

217 vs. 237


Halloween - bei den Simpsons die Zeit der Horror-Baumhäuser, in Grundschulen die Zeit der ausgehöhlten Kürbisse. (Bin ich froh, dass Halloween zu meiner Grundschul-Zeit in Deutschland nur in amerikanischen TV-Specials zu sehen war und nicht wirklich stattfand. Ich hätte das Aushöhlen von Kürbissen zutiefst verabscheut. Ich habe übrigens noch ein Donald Duck-Comic, in dem den deutschen Kindern Halloween als Rosenmontag verkauft wird. Das würde es heute auch nicht mehr geben.) Im Blog ist die Zeit für Horrorfilm-Analysen gekommen.

Da dieses Jahr das große Breaking Bad-Jahr ist, habe ich mich entschieden, mich einer thematisch recht ähnlichen Story zu widmen: The Shining. Und da man an Halloween andere Leute erschrecken darf, erschrecke ich jetzt ein paar Leser mit einem Breaking Bad-Spoiler zum Ende der Serie, das von einigen als zu glatt bezeichnet wurde. Ich bin der Meinung, dass Breaking Bad ein Happy End mit Reißzähnen hat und daher sehr gut zum Rest der Serie passt. Walter White stirbt mit der Gewissheit, dass er jederzeit wieder so handeln würde, wie er es getan hat. Das Brauen von Drogen und der dazugehörige Drogenkrieg haben ihm im Endeffekt so viel Spaß und Erfüllung gegeben, dass er jederzeit dazu bereit wäre, seine Familie wieder zu opfern, um diese Erfüllung zu erlangen. Breaking Bad hat die Botschaft, dass es egal ist, in welche Richtung man den amerikanischen Traum lebt. So lange man tut, was einem am besten liegt und womit man am meisten Geld verdienen kann, wird das Leben erfüllt sein. Die Familie ist in beiden Fällen nur ein Vorwand. Der amerikanische Traum ist reiner Egoismus. Und der Egoismus dient dem schlechten Menschen genauso gut wie dem rechtschaffenen.


Nach dem Breaking Bad-Finale habe ich mir noch einmal Stanley Kubricks „Shining“ angesehen und Stephen Kings „The Shining“ als Hörbuch angehört. Die Story ist recht ähnlich zu Breaking Bad. Auch hier versucht ein Vater, seine Familie durchzubringen und gut für sie zu sorgen. Muss ich die Story noch einmal zusammenfassen? Sie ist so bekannt, dass sie selbst in den Horror-Baumhäusern der Simpsons schon parodiert wurde. Ganz kurz: Jack Torrance (bei Kubrick gespielt von Jack Nicholson) ist Romanautor (bei King Theaterautor). Er will mit seiner Frau Wendy und seinem gedankenlesenden Sohn Danny den Winter lang auf ein eingeschneites Hotel aufpassen. Hier will er seinen Roman (sein Theaterstück) vollenden. Leider dreht er in der Einsamkeit des Hotels durch und versucht, seine Familie zu töten.

Wie bei Breaking Bad geht es um einen Vater, der die Familie versorgen will, dem aber in Wirklichkeit die Familie nur im Weg steht, während er versucht, sich selbst zu verwirklichen. Der Vater wendet sich gegen die Familie. Eine Freudsche Urangst wird wahr. Kein Wunder, dass Shining zu den großen Horror-Klassikern zählt. Die großen Geschichten handeln schließlich gerne einmal von gestörten Vater-Sohn-Verhältnissen. („Ich bin dein Vater, Luke…“)


Stephen King hasst Kubricks Verfilmung und urteilt, Kubrick hätte keine Ahnung, wie man Horror erzeugt. Kubrick mag Kings Story, meint aber sein Roman sei fahrig und wenig fokussiert geschrieben. Ich liebe beide Versionen. Und nachdem ich beide noch einmal angeschaut/angehört habe, liebe ich sie noch mehr. Das erstaunlich ist nämlich, dass sich beide Versionen inhaltlich kaum voneinander unterscheiden. Und doch sind es zwei verschiedene Geschichten, da jede Version mit einer anderen Weltanschauung entstanden ist.

Stephen King hat Jack Torrance nach seinem eigenen dunklen Ich geschaffen. Er hat das Buch Ende der 70er Jahre geschrieben, als er selbst versuchte, sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Auch Jack Torrance ist Alkoholiker. Er versucht trocken zu werden, seit er seinem Sohn Danny im Suff den Arm gebrochen hat. Den ganzen Roman lang will er ein liebender Vater sein, auf den sich seine Familie verlassen kann. Doch seine inneren Dämonen, die sich im Overlook Hotel manifestieren, hindern ihn daran. Und so gibt er seinem dunklen Ich nach und richtet sich endgültig gegen seine Familie. Kurz vor Schluss wird seine Seele von Danny gerettet, indem mit Hilfe des Shinings, das Vater und Sohn geistig verbindet, eine Versöhnung stattfindet.

Auch Kubrick schafft Jack Torrance nach seinem eigenen dunklen Ich. In Kubricks Version ist Jack nicht explizit ein Alkoholiker. Er ist manisch von seinem kreativen Schaffen besessen - was auch Kubrick nachgesagt wurde - und sieht am Ende die eigene Familie als Hindernis zwischen sich und seiner individuellen Entfaltung ("All work and no play makes Jack a dull boy"). Die Familie muss verschwinden, damit sich Jack entfalten kann.

In Kings Version explodiert Jack kurz nach seiner Erlösung durch Danny mit dem Heizkessel des Hotels. Bei Kubrick gibt es keine Erlösung, Jack friert im Labyrinth des Hotels zu einem Eisklotz und wird Eins mit dem Hotel. Nur in Jacks Tod unterscheiden sich die beiden Fassungen fundamental voneinander. Ansonsten sind sie inhaltlich beinahe gleich. Doch die Tode geben einen Hinweis auf die jeweilige Erzählhaltung. King schreibt explosionsartig. Er nimmt seinen Plot und lässt ihn intuitiv in verschiedene Richtungen expandieren. Er nimmt wie in beinahe all seinen Romanen den Leser an die Hand und erkundet mit ihm die Welt des Overlook-Hotels und die Psyche seiner Figuren. Erforscht ihre Vergangenheit, ihre Träume, ihre Ängste und entwickelt sie vom Ausgangspunkt des Plots hin zum Ende. Dabei kommt ein Schreibstil heraus, den Kubrick fahrig nennt. 

Kubirck dagegen schafft eher ein filmisches Gemälde der Angst als einen rasanten explodierenden Plot. „Sie waren schon immer der Hausverwalter“, sagt ein Geist zu Jack Torrance. Das bedeutet, dass Jack schon immer wahnsinnig war, dass er seinem Schicksal, sich gegen die Familie zu richten, von vornherein gar nicht entkommen kann. Er hat überhaupt nicht die Fähigkeit, seine Dämonen zu erkennen und zu bekämpfen. Jack Torrance ist von vornherein die Antithese zum guten Vater und daher von der ersten Filmminute an ein Killer. Er ist der Horror im Overlook Hotel und muss nicht erst dazu gemacht werden. Daher ist es auch kein Inszenierungsfehler (wie ich früher dachte und wie Stephen King heute noch kritisiert), dass Jack Nicholson von Beginn an einen verrückten Jack Torrance spielt.


Stanley Kubricks Shining erzählt, dass dem Schrecken nicht entgangen werden kann, da der Schrecken wie eine erstarrte hässliche Fratze immer da ist und uns grinsend Angst einjagt, ohne dass wir unseren Blick abwenden oder die Fratze verschwinden lassen könnten. Eine deutlich unheimlichere Vorstellung als in der Version von King, in der der Schrecken von einer Explosion zerstäubt werden kann, wenn die guten Gedanken ihre Kraft entfalten.

Stephen King sträubt sich gegen die Annahme, dass der Mensch seine eigenen Dämonen am Ende niemals endgültig besiegen kann. Daher schreibt er im Vorwort seines Buchs Danse Macabre: „Wenn ein Film über normale Menschen, die normale Leben führen, zu einem blutgetränkten Albtraum ausartet, können wir Druck ablassen, der sich sonst vielleicht solange aufgestaut hätte, bis er uns hoch in den Himmel schleudert, wie der explodierende Kessel, der das Overlook Hotel in Shining zerstört (im Buch meine ich; im Film gefriert ja alles zu einem Eisblock - wie dämlich ist das denn?).“ Kubrick scheint nicht zu glauben, dass Druck abgelassen werden kann. Sein Horrorfilm setzt uns von der ersten bis zur letzten Minute hohem Druck aus, der auch während des Abspanns nicht verschwunden ist.

Kubricks Overlook explodiert nie. Es wird immer da sein und auf unseren Besuch warten. Und dann wird es uns wieder und immer wieder mit den erstarrten Fratzen unserer Ängste konfrontieren. Halloween ist der richtige Tag, um dem Overlook einen erneuten Besuch abzustatten… Aber Kings Overlook ebenfalls. Denn ab und an ist es schöner, bei Ausflügen in gruselige Welten einen mitfühlenden Freund dabei zu haben.


Dienstag, 22. Oktober 2013

Der Held im Superheld


Iron Man 3 ist der bisher beste aller Marvel-Filme. Weil er der mutigste aller Marvel-Filme ist. Und mutig ist er, weil er so schonungslos konsequent ist, dass man sich beinahe wundert, dass das Studio ihn so durchgewunken hat, wie er ist. Iron Man 3 nimmt es sich heraus, seine Hauptfigur bis auf ihren innersten Kern freizulegen und geht so das Risiko ein, Iron Man den Superheld-Status zu entziehen.

Ein Superheld ist eine moderne mythische Figur. Was Herkules in der griechischen Mythologie war, ist Superman in der Comic-Mythologie. Und mythische Figuren sind im Kern Menschen mit so fundamental großen Ängsten, dass sie übermenschliche Kräfte brauchen, um diese Ängste zu kompensieren. Folgende Grafiken bringen diese Logik hervorragend auf den Punkt:




Tony Stark verkriecht sich in seinem Iron Man-Kokon, um nicht der depressive alkoholkranke Milliardärssohn mit Vaterkomplexen sein zu müssen. In Iron Man 3 nimmt der Mandarain, ein übermächtiger Antagonist und in den Comics Iron Mans Erzfeind, mit einem Raketenabschuss Tony Starks Superhelden-Identität. Im gesamten zweiten Akt muss sich Tony seinen Ängsten stellen, ohne sich verkriechen zu können.

Der Mandarin funktioniert ebenso konsequent nach einer simplen Dramaturgie-Logik: Die stärkste Waffe des Antagonisten ist die Angst. Der Bösewicht eines Films versteckt sich hinter Drohgebärden (in Blockbustern meistens in Form von Superwaffen), die verschleiern sollen, dass er in Wirklichkeit nur ein schwacher Mensch ohne Macht ist. Konsequenter als in Iron Man 3 wurde dieser Grundsatz noch in keinem Superhelden-Film offen gelegt: Als große Überraschung entpuppt sich der übermächtige Mandarin als nicht-existent. Der Mandarin ist nur eine Kunstfirgur, dargestellt vom beinahe wurmartigen Schauspieler Trevor. Iron Mans Erzfeind ist nur eine Illusion, nur die Manifestation der eigenen Angst. (Gesellschaftlich gesehen der Angst vor dem Terror.) Daher braucht Iron Man auch den Kokon nicht, sondern lernt, dass er als Tony Stark seine Furcht besser bekämpfen kann als in seiner Rüstung.


Am Ende befreit sich Tony von seiner Superhelden-Identität und vom eigenen Mythos. Iron Man 3 entmystifiziert auf allen Ebenen eine Figur, die nur vermarktbar ist, wenn sie übermenschlich ist. Tony Starks Geschichte ist hier vorbei. Ich bin gespannt, wie Marvel es schaffen wird, Iron Man weiterhin logisch in seinem Kino-Universum zu halten. Daher ist die Entscheidung, Iron Man 3 so zu erzählen mutig. Andererseits hat sich die Konsequenz, bis zum tiefsten Kern der Figur vorzudringen, ausgezahlt: Iron Man 3 ist der bisher erfolgreichste aller Marvel-Filme.