Montag, 14. November 2011

Fantasie im dreidimensionalen Raum


Gags wie diesen gibt es viele in Spielbergs Tim und Struppi Film. In seinen beten Momenten ist der Film so altmodisch und charmant wie ein Stummfilm. Das passt natürlich zu den Comics. Denn obwohl die Filmhandlung sich nicht genau an einem Tim und Struppi Band orientiert, verströmt sie genau den altmodischen Charme ihrer Vorlage.

Selbst Tim ist genauso langweilig wie sein Comic-Vorbild. Er hat keine Vergangenheit, keine Fehler und keinen Humor. Er macht immer alles richtig und schrammt dabei – genau wie Micky Maus – knapp daran vorbei, ein unsympathischer Klugscheißer zu sein. Das verzeiht man Tim im Comic eher als im Film, doch Spielberg hat das Problem im Blick und geht geschickt damit um. In den Comics erkundet Tim stellvertretend für uns die abenteuerliche Welt hinter den Bildern. Tim-Zeichner Hergé war ein Meister darin, die Comic-Bilder genau so zu gestalten, dass man gerne bei ihnen verweilt und sich ausmalt, wie sie rechts und links des Bildrandes weitergehen.

Hergé schaffte es, dass jedes Bild wie das Fenster zu einer großen Welt voller Abenteuer wirkt. Und Spielbergs Aufgabe war es, diese Fantasiewelten aus den Zwischenräumen der Comics herauszuholen und auf die Leinwand zu bringen. Damit hat er sich wieder einmal seiner liebsten Aufgabe gestellt: Spielberg ist der Regisseur, der unsere (kindlichen) Fantasien lebendig machen will.
Technisch gesehen ist ihm das wohl noch nie so gut gelungen wie in Tim und Struppi (und emotional gesehen ist es ihm nie besser gelungen als in E.T.). Mit dem Motion Capture-Verfahren hat er aus den Comicfiguren tatsächlich lebendige Wesen gemacht, die real wirken, obwohl sie weiterhin Comicfiguren sind. Das ist tatsächlich ein Zaubertrick aus der Kinomagie-Show, den es bis jetzt noch nicht zu sehen gab.


Und wie schafft es Spielberg, die Bilder lebendig zu machen, ohne dass der Film zu hektisch wird oder an Charme einbüßt? Er verzichtet auf viele Schnitte und benutzt die Kamera im klassischsten Sinne als stellvertretendes Auge des Zuschauers. Eine Szene wird etabliert, indem Spielberg das Comic-Bild nachstellt. Und dann schwenkt die Kamera durch den Raum, auf Details zu, aus dem Bild heraus oder über die Grenze des Raums hinweg. Als würde sie das Bild erforschen, so wie wir es beim Lesen mit unseren Augen und unserer Fantasie tun.

Egal wie viel auf der Leinwand passiert: Der Zuschauer weiß immer, wo sich was im Raum befindet, er bekommt das Gefühl, sich frei in der Stadt bewegen zu können (was selbstverständlich auch durch den 3D-Effekt verstärkt wird, der Dank der wenigen Schnitte nicht einmal Kopfschmerzen verursacht).
So schafft es Spielberg, nicht nur den Stil des Comics nachzustellen, sondern auch das Gefühl, das man beim Lesen hat: Wenn wir Tim und Struppi anschauen, können wir in der lebendigen Welt von Hergé schwelgen und unsere Fantasie schweifen lassen.

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