Dienstag, 9. August 2011

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: "Super 8" hat auch seine Fehler!

Noch einmal gesehen am Samstag in der Cinedom-Spätvorstellung mit meiner müden Freundin und einem etwas weniger müden Freund.


Wie schon angekündigt, will ich auf die dramaturgischen Schwächen des sehr sehr tollen Films "Super 8" in einem separaten Post eingehen, der nur von Leuten gelesen werden sollte, die den Film schon gesehen haben. (Der Text richtet sich auch nur an Personen, die den Film gesehen haben. Wer die Handlung von "Super 8" nicht kennt, wird wohl kaum viel von dem Text haben.)

"Super 8" atmet den Geist früher Spielberg-Filme wie "E.T." oder "Unheimliche Begegnung der dritten Art". Gerade die Kinderfiguren sind ebenso liebevoll ausgestaltet wie die in "E.T." (wobei Spielberg nie eine so hinreißendes Mädchen wie die von Elle Fanning gespielte Alice hinbekommen hat. Spielberg erzählt gerne konsequent aus der Perspektive von 10-12jährigen Jungs. Und so treten gleichaltrige Mädchen eher als nervig und hysterisch denn als hinreißend auf. Man erinnere sich etwa an das verzogene Gör aus "E.T.", das panische Angst vor Fröschen und um ihre sauber geschrubbten Lack-Schühchen hat. Alice ist deutlich tougher. Und Elle Fanning kann grlücklich sein, ihre erste große Rolle unter Abrams gespielt zu haben und nicht wie ihre ältere Schwester Dakota unter Spielberg. Die musste in "Krieg der Welten" nämlich auch nervig und hysterisch sein – das war sie allerdings sehr gut.)

Nicht nur die Charaktere auch die Filmbilder erinnern stark an Spielberg. Abrams benutzt wie der Altmeister oft buntes grelles Licht vor düsterer Kulisse und setzt gerne auf den Lense-Flare-Lichteffekt (das Licht reflektiert in der Linse, und es enstehen transparente Lichtstreifen und -punkte). Thematik, Charaktere, der Look und in Teilen auch die Musik (die spielt wohl nicht zufällig auf die Themen von "E.T". und "Close Encounters" an) sind eindeutige (und sehr gelungene) Verbeugungen vor Spielbergs Frühwerk. Da stellt sich die Frage, warum eine Sache nicht funktioniert, auf die man sich bei Spielberg früher immer verlassen konnte: Warum fließen im Finale von "Super 8" so wenig Tränen im Kinosaal? Warum bleibt die wohlige Gänsehaut aus, auf die einen Abrams zu Beginn des Films noch vorzubereiten scheint?


Dabei hat die Schlussszene genau die richtige Dosis Kitsch, die ein richtiger Tränenzieher braucht. Zum Großleinwand-Geigen-Teppich hält der von Joel Courtney gepsielte Junge Joe den Anhänger mit dem Bild seiner Toten Mutter in den Himmel, der magnetisch vom startenden Alien-Raumschiff angezogen wird. Tränen trefen in Joes Augen. Der Musikteppich entrollt sich weiter und… Joe lässt den Anhänger (und somit das Trauma, das der Tod der Mutter ausgelöst hat) los. Der Anhänger schwebt in den Himmel, lässt das Raumschiff starten, und Joe bleibt auf der Erde zurück – versöhnt mit seinem Vater. Raumschiff, überbordender aber keineswegs geschmackloser Kitsch, Vater-Sohn-Zusammenführung, orchestraler Musik... Spielbergiger geht es nicht. Nur bei Spielberg (das hat das sehr ähnliche Ende von "E.T." bewiesen) würde der ganze Kinosaal flennen. (Ja, selbst die Kerle würden heulen. So wie sie es damals getan haben, als Leonardo abgesoffen ist.)



Warum dieser Effekt bei "Super 8" selbst bei meiner Freundin ausblieb, die im gleichen Film schon schluchzen musste, als der freundliche Nachbar dem halbverwaisten Joe auf die Schulter klopft, hat nichts damit zu tun, dass der Kinozuschauer abgebrühter geworden ist und nicht mehr überrascht werden kann. Es liegt auch nicht daran, dass das Alien nicht so hübsch wie E.T. aussieht. Und es liegt nicht daran, dass am Schluss viele Soldaten aufmarschieren und wild herumballern. (All das vermutet ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung). Nein, die Schlussszene von "Super 8" funktioniert nicht, weil im letzten Akt von "Super 8" recht grobe dramaturgische Filme gemacht werden. Das ist vor allem deswegen so schade, weil die ersten beiden Akte hervorragend ausgestaltet sind.

Um begreiflich zu machen, wo ich die dramaturgischen Schwächen sehe, ist zunächst eine kleine Analyse der filmischen Meta-Ebene nötig. Also: Was hat eigentlich die Geschichte von Joe, seiner toten Mutter, seinem Vater und seinen Freunden mit der Geschichte vom mordenden Horrormonster aus dem All zu tun, die ja in ein und dem selben Film erzählt wird?

Der Kern des Films ist nicht zuallererst die Geschichte rund um Joe und seine Freunde, die gemeinsam einen Zombie-Film drehen. Im Kern geht es um Joe und seinen Vater. Das ist leicht daran zu erkennen, dass Joe einen Konflikt mit seinem Vater hat, mit seinen Freunden aber nicht. (Gut er streitet sich in einer Szene mit seinem dicken Kumpel Charles um die Gunst von Alice, allerdings wird der Konflikt noch in der gleichen Szene gelöst und ist somit nicht relevant für den Gesamtfilm.) Auch das Alien ist nicht der Kernkonflikt der Geschichte. Denn Joe bleibt von den Morden des außerirdischen Viehs lange Zeit gänzlich unberührt. Zwar ist er live bei dem Zugunglück dabei, bei dem das Alien entkommt, doch anschließend hat er bis zum letzten Akt keinen direkten Kontakt mehr mit ihm – und das Alien beeinflusst auch nur marginal das Leben von Joe. Joes Vater dagegen ist der wahre Antagonist, der für ernsthafte Konflikte in Joes Alltag sorgt. Seit dem Tod der Mutter muss er sich alleine um seinen Sohn kennen. Im Film wird klar etabliert, dass der Vater den Sohn nicht versteht, da er sich kaum mit ihm auseinander gesetzt hat. Joe ist ein Mamasöhnchen (beim Film seines Kumpels ist er sogar fürs Make-Up zuständig). Daher will der Vater ihn auch gegen dessen Willen in ein Baseball-Camp schicken, zeigt kein Verständnis für Joes Freunde und seine Leidenschaft fürs Filmemachen. Ebenso verbietet er seinem Sohn, Alice – die erste große Liebe – zu treffen, da ihr Vater für den Tod von Joes Mutter verantwortlich ist. Umgekehrt das gleiche Spiel: Alice' Vater verbietet der Tochter den Umgang mit Joe.


Die Väter halten die Kinder also zurück auf ihrem Weg, sich selbst zu entdecken (durch das Filmemachen) und gleichzeitig Erwachsen zu werden (durch die erste große Liebe). Sie hindern die Kinder an ihrer Fortentwicklung und klammern sich an sie, da sie ihre eigenen Traumas (der Verlust der Ehefrau bei Joes Vater und extreme Schuldgefühle bei Alice' Vater) nicht verarbeitet haben. Das heißt: Erst wenn die Kinder es schaffen, ihre Väter zum Loslassen zu bewegen, wird es zu einer Versöhnung kommen und die Väter können die Kinder ihren Weg gehen lassen.

Die Geschichte des Aliens hat das gleiche Thema, nur dass es hier ganz klar nach außen gekehrt ist. Das Alien ist auf der Erde gestrandet und will eigentlich nur sein Raumschiff bauen und nach Hause fliegen – in Sicherheit, da wo es hin gehört. Stattdessen wird es vom Militär zurückgehalten. Das Monster muss (genau wie die Kinder, die heimlich nachts ihren Film drehen müssen, damit die Eltern nichts merken) ausbrechen. Auf alle Versuche des Militärs, das Alien auf seinem Weg nach Hause zurückzuhalten, reagiert es mit Aggression.

Das Alien ist sozusagen Joe. Es ist die nach außen gelagerte Aggression des Jungen. Joe wird auf seinem Weg zurückgehalten, daher baut er eine innere Wut auf. Das Alien wird zurückgehalten und lebt seine Wut aus. Das heißt: Nur Joe kann das Alien besänftigen. Wenn er das Alien konfrontiert, dann trifft er auf seine eigene Wut. Wenn er es besänftigt, dann besänftigt er sich selbst, kann sich  seinem Vater entgegenstellen und sich mit versöhnen. (Ich weiß, das klingt alles ziemlich schwülstig und laienpsychologisch, aber so funktioniert der Motor hinter einer guten klassischen Dramaturgie nun mal. Nicht umsonst hatten die alten Griechen in ihren Dramen ständig extremen Stress mit ihren alten Herren.)

Das heißt auch, dass das Alien Joes Antrieb sein muss. Er muss wegen des Aliens in die dessen Höhle gehen, weil er sich seiner Angst stellen muss. Und hier passiert der erste große dramaturgische Fehler in "Super 8". Nicht das Alien sondern Alice wird zu Joes Antrieb gemacht. Alice wurde von dem Alien entführt, Joe will sie retten. In dem Moment, wo das Alien Joe berührt, verstehen sich die beiden gegenseitig (sie erkennen, dass sie beide gleich sind, dass sie von den gleichen Motiven angetrieben werden). Dann geht alles sehr schnell: Die Kids rennen durch Kugelhagel, das Alien frisst noch ein paar Menschen, springt in sein Raumschiff und fliegt davon. In der Zwischenzeit haben sich die beiden Väter ohne ersichtliche Motivation miteinander vertragen. (Na gut, sie machen sich beide Sorgen um ihre Kinder, das geht mit Ach und Krach durch. Aber ist diese Motivation wirklich so stark, dass man mit ihr Traumas überwindet?) Die Väter umarmen ihre Kinder, das Alien fliegt davon. Ende.

Das wichtigste Element ist da, weswegen der Film auch funktioniert: Joe und das Alien erkennen sich ineinander wieder, so dass Joe mit sich selbst ins Reine kommt. Doch dieser dramaturgische Punkt ist so entscheidend für den letzten Akt, dass er nicht so kurz abgehandelt werden darf, wie es der Film tut. Nur wenn sich der letzte Akt komplett auf Joe und das Alien konzentriert (so wie es ja auch in E.T. geschieht), fließen am Ende die Tränen im Publikum. Statt sich auf Joe und seine Verbindung zum Alien zu konzentrieren, wird im dritten Akt mehr Wert auf das kämpfende Militär in der Stadt und schale Witzchen über einen Kiffer, der die Kids umherfährt, gelegt. Auch die Erklärung, woher das Alien kommt und was es antreibt, kommt viel zu kurz (sie wird in einer hektischen Szene abgehandelt, in der die Kids in ihre Schule einbrechen und einen Film über das Alien anschauen).

Ich glaube, einen Tränenzieher könnte man aus dem folgenden dramaturgischen Ablauf extrahieren:
- Das Alien entführt zunächst einmal nicht Alice. Erstens würde das Joes Motivation aus oben genannten Gründen gerade rücken, zweitens würde nicht eine der stärksten Figuren des Films für sehr lange Zeit auf Eis gelegt und zum passiven Burgfräulein gemacht werden, das errettet werden muss. Wie gesagt: Es geht nicht darum, dass Joe eine holde Maid retten muss, es geht darum, dass er sich mit seiner Angst konfrontieren muss, um sich mit seinem Vater zu versöhnen.
- Joe könnte mit seinen Freunden auf das Alien treffen, sie würden sich vor Angst in die Hosen machen, doch dann würde sich herausstellen, dass das Alien gar nicht so schlimm ist. Nachdem die Kinder das Alien berührt haben, würden das Alien und die Kids erkennen, dass sie sich sehr ähneln.
- Das Alien würde sie gehen lassen (die ersten Menschen, die es überhaupt gehen lässt), doch die Erwachsenen würden nicht auf die Nachrichten der Kinder hören. Die Kinder könnten jetzt das Filmmaterial finden, so dass sie einen Beweis haben, dass sie im Recht sind. Natürlich ist das den Erwachsenen egal. Sie nehmen die Kids nicht ernst und wollen "dem Mistvieh so kräftig in den Arsch treten, dass es zu seinem Heimatplaneten zurückfliegt".
- Das Alien gerät in Gefahr, die Kids versuchen, es zu retten. Die beiden Väter glauben, ihre Kinder seien in Gefahr.
- Es kommt zu einer Konfrontation zwischen dem Alien, den Kids und den Vätern. Das Alien fühlt sich von Jods Vater bedroht. (Was Joe emotional bedroht, muss auch das Alien bedrohen. Das sieht natürlich so aus, dass das Alien glaubt, der Vater würde Joe angreifen und es geht dazwischen.) Es greift den Vater an. Alice' Vater kann nicht zulassen, dass Joe zum Vollwaisen wird – schließlich hat er an dem Schicksal des Jungen Schuld, da er für den Unfall der Mutter verantwortlich ist. Er will Joes Vater retten vor dem Alien retten und überwindet so sein Trauma. Der Versuch droht schief zu gehen, als das Alien in angreift. Doch Alice' Vater überlebt, da Joe das Alien daran hindert ihn zu töten.
- Gerade als sich die Eltern und die Kinder in die Arme fallen wollen, taucht das Militär auf und will das Alien zur Strecke geben. Die Kids helfen dem Alien bei der Flucht – unterstützt von den Eltern.
- Nur mit knapper Not kann das Alien sein Raumschiff bauen. Es stolpert von einer Kugel getroffen in sein Schiff. Das Schiff hebt nicht ab und es sieht so aus, als wäre das Alien gestorben. Die Kinder fangen an zu weinen. Doch als ein Militärmann das Raumschiff öffnet, wird klar, dass das Alien doch noch lebt. Es hebt mit seinem Raumschiff ab. Die Väter umarmen stolz ihre Kinder, alle schauen ergriffen in den Himmel. Und Joe kann das Amulett seiner Mutter gemeinsam mit dem Alien (seiner Wut) verschwinden lassen. Denn jetzt hat er seinen Vater. Und das Leben geht weiter. Ende.


Das ist jetzt eine sehr grobe Skizze für ein alternatives Ende geworden, die sicher nicht optimal ist. Doch es ist hoffentlich klar geworden, was ich meine: Der Film wird homogener und emotionaler und besser, wenn sich der dritte Akt stark auf die Versöhnung zwischen Joe und seinem Vater konzentriert. Denn nur so kann der große Konflikt von der Hauptfigur angemessen aufgelöst und zu Ende erzählt werden. Alles andere kann nur Beiwerk sein. Leider stimmt in "Super 8" am Ende die Gewichtung nicht mehr.

Aber das Schlussbild ist natürlich auch ohne Tränen im Publikum toll anzusehen.

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