Donnerstag, 21. Juni 2012

Hüpfburg-Kommunikation


Dieser Artikel aus der Aachener Zeitung, in dem es um eine regionale Verleih-Firma geht, die auf äußerst unverschämte Weise auf eine Anfrage von Abiturienten reagiert hat, hat eine rasante Verbreitung über soziale Netzwerke gefunden, die hier zusammengefasst wurde. So hat es der Artikel unter anderem zu diesen Nachrichten-Portalen geschafft.

Dass der Artikel inhaltlich für Menschen in sozialen Netzen interessant ist, verwundert kaum. Die meisten Facebooker sind wohl im Abi-Alter oder haben ihr Abitur erst vor kurzem gemacht und studieren jetzt. Oder sie können sich noch gut daran erinnern, wie es war, ein Abiturient zu sein. Will heißen: Der Artikel bietet eine hohe Identifikationsfläche für viele Menschen, die internetaffin sind.

Für Empörung sorgt der Artikel wohl vor allem, weil er die jungen Facebooker mit der Angst konfrontiert, keinen Job zu finden, Hartz IV-Empfänger zu werden und genau deswegen nicht ernst genommen zu werden. Die Angst, keinen Platz in der Gesellschaft zu finden, ist m.E. sehr weit verbreitet bei jungen Menschen, denen immer wieder schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, für die Rente und ihr eigenes Konto prognostiziert werden (und denen impliziert wird, unbedingt etwas Außergewöhnliches machen zu müssen).


Ich stelle zwei Thesen auf:

1. Der Artikel ist online von deutlich mehr Menschen gelesen worden als in der Print-Ausgabe.
2. Der Artikel wäre online von deutlich weniger Menschen gelesen worden, wenn er nicht in der Print-Ausgabe erschienen wäre.

Die meisten Leserinnen und Leser des Artikels hätten ihn wohl nicht wahrgenommen, wäre er ihnen über Facebook nicht zugespielt worden. In der Zeitung hätten sie ihn jedenfalls nicht entdeckt, da fast alle von ihnen (ich gehe immer noch davon aus, dass der Artikel in erster Linie von 20-35-Jährigen gepostet und verbreitet wurde) überhaupt keine Tageszeitung mehr lesen.

Aber ich glaube auch, dass er nur verbreitet wurde, weil über die Sache vorher in der Zeitung geschrieben wurde. Wäre nur über ihn gebloggt worden (etwa von einem der Abiturienten), hätte es vielleicht eine Empörungswelle unter den engsten Freunden gegeben, nicht aber quer durch Facebook hindurch zu vielen Leitmedien.

Indem die Zeitung (auf Papier) darüber geschrieben hat, hat das Anliegen der Abiturienten ein großes Gewicht bekommen. Die Zeitung schreibt, also nimmt sie die Schüler ernst und verhält sich so genau anders als der unverschämte Hüpfburg-Verleiher. Erst dadurch kommt ein Konfliktpotenzial in die Geschichte, das sie wirklich erzählenswert macht. Dass der Wortwechsel abgeduckt wurde, gibt den Schülern einen Rückenhalt, mit dem die Verleih-Firma nicht gerechnet hätte. Sie erlebt die Abiturienten plötzlich auf Augenhöhe und merkt, dass sie ihr schaden können. Dass sie also genau die Kompetenz haben, die sie ihr abgesprochen haben.

Wäre der Artikel nur online erschienen (in einem Blog), dann hätten wir die Geschichte von einem Abiturienten, der wütend ist, weil ihm frech geantwortet wurde. So haben wir die Geschichte von Abiturienten, die nicht ernst genommen werden, dann aber beweisen, dass sie ernst genommen werden MÜSSEN!

Ohne die Zeitung hätte die Geschichte kein Gewicht, ohne Facebook würde sie in der Zielgruppe nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen.

Dieser Post soll bitte nicht als Werbung für Print gelten. Ich gehe davon aus, dass die Verbreitung ähnlich rasant gelaufen wäre, wäre der Artikel nur auf az-web.de (der Homepage der Aachener Zeitung) erschienen.
Ich denke aber, dass eine Berichterstattung durch Journalisten nach wie vor einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert in der Gesellschaft hat und Geschichten aufwertet und ihnen (in den Augen der Leserinnen und Leser) Relevanz verleiht.

Professioneller Journalismus wird auch in Zukunft nicht durch "Hobby-Berichterstattung" ersetzt werden. Er wird allerdings nicht mehr wahrgenommen werden, wenn er nicht über die digitalen Wege kommuniziert wird. Beides wurde hier (im Kleinen) gezeigt.

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