Freitag, 11. Februar 2011

Berlinale 2011 - Cineastisches Tagebuch in Text und Bild (3)

Guten Morgen, Berlin!

Und nein, ich ergänze jetzt nicht "Du kannst so hässlich sein". Obwohl genau das zutrifft, wenn wir morgens von unserer Gastwohnung in Moabit zur U-Bahnhaltestelle gehen. Ein kleiner Hundehaufen-Pakours ist dort auf dem Bürgersteig zu bewältigen. Und der weckt einen gegen sieben Uhr in der Frühe dann wenigstens ein wenig auf.

Denn um auf der Berlinale die Filme zu sehen, die man wirklich will, muss man sich schon um sieben Uhr morgens für Karten anstellen. Noch früher aufstehen müssen Leute ohne Akkreditierung. Die sind allerdings zum Teil offensichtlich so filmverrückt, dass sie eigentlich eine verdient hätten. Andererseits brauchen echte Hardcore-Berlinale-Gänger vielleicht das Campen so sehr wie das Filmegucken.

Stufe 1 Filmcamper warten am Roten Teppich auf Stars.

Stufe 2 Filmcamper warten zwei Stunden lang auf Tickets.

X-Treme Filmcamper warten eine ganze Nacht lang auf Tickets.

Des weiteren ist es mir gelungen, Diane Krüger als Model für den Modeteil dieses Blogs zu gewinnen. Heute präsentiert sie Ihnen die aktuelle Version der begehrten Berlinale-Taschen, die Akkreditierte bekommen, und mit denen Leute gerne ganzjährig durch Köln laufen um zu sagen: "Ja, ich arbeite für den Film. Mein Leben ist aufregend und voller Kreativität."


Das Königsblau der diesjährigen Kollektion passt perfekt zum Selbstverständnis solcher Leute. Außerdem ist die Tasche aus ökologischer Baumwolle hergestellt. Also nicht so politisch unkorrekt wie die Lacktaschen, die es noch vor ein paar Jahren gab. Die umweltbewusste Künstlerseele wird's freuen.

Noch eine kurze Filmkritik: Wir haben gestern "Tomboy" gesehen. Der französische Film handelt von einem Mächen, das gerne ein Junge sein will. Am Ende erkennt es, dass es doch besser ist, ein Mädchen zu sein. Ich hoffe, dass allein durch diese kurze Zusammenfassung klar wird, dass der Film kein wertvoller Beitrag zur Gender-Debatte ist.

Abschließen will ich mit einem Text, der unbedingt gelesen werden sollte. Dieser Brief des inhaftierten Jury-Mitglieds Jafar Panahi wurde gestern zur Eröffnung des Festivals veröffentlicht:

In der Welt eines Filmemachers fließen Traum und Realität ineinander. Der Filmemacher nutzt die Wirklichkeit als Inspirationsquelle, er zeichnet sie in den Farben seiner Vorstellungskraft. Damit schafft er einen Film, der seine Hoffnungen und Träume in die sichtbare Welt trägt.
Die Wirklichkeit ist, dass mir ohne Prozess seit fünf Jahren das Filmemachen untersagt wird. Jetzt wurde ich offiziell verurteilt und darf auch in den nächsten 20 Jahren keine Filme realisieren. Trotzdem werde ich in meiner Vorstellung weiterhin meine Träume in Filme übersetzen. Als sozialkritischer Filmemacher muss ich mich damit abfinden, die alltäglichen Probleme und Sorgen meines Volkes nicht mehr zeigen zu können. Aber ich werde nicht aufhören, davon zu träumen, dass es in 20 Jahren keines dieser Probleme mehr geben wird und ich dann, wenn ich wieder die Möglichkeit dazu habe, Filme über den Frieden und den Wohlstand in meinem Land machen werde.
Die Wirklichkeit ist, dass mir für 20 Jahre das Denken und Schreiben untersagt wurde. Aber sie können mich nicht davon abhalten zu träumen, dass in 20 Jahren die Verfolgung und die Einschüchterung durch Freiheit und freies Denken ersetzt sein wird.
Mir wurde für 20 Jahre der Blick auf die Welt entzogen. Aber ich hoffe, nach meiner Freilassung eine Welt ohne geografische, ethnische und ideologische Grenzen zu bereisen. Eine Welt, in der die Menschen ungeachtet ihres Glaubens und ihrer Überzeugungen in Frieden miteinander leben.
Ich wurde zu 20 Jahren Stillschweigen verdammt. Aber in meinen Träumen schreie ich nach einer Zeit, in der wir uns gegenseitig tolerieren und unsere jeweiligen Meinungen respektieren, in der wir füreinander leben können.
Letztendlich bedeutet die Wirklichkeit meiner Verurteilung, dass ich sechs Jahre im Gefängnis verbringen muss. In den nächsten sechs Jahren werde ich in der Hoffnung leben, dass meine Träume Realität werden. Ich wünsche mir, dass meine Regiegefährten in jedem Winkel der Welt in dieser Zeit so großartige Filme schaffen, dass ich, wenn ich das Gefängnis verlasse, begeistert sein werde in jener Welt weiterzuleben, die sie in ihren Werken erträumt haben.
Ab jetzt und für die nächsten 20 Jahre werde ich zum Schweigen gezwungen. Ich werde gezwungen, nicht sehen zu können, ich werde gezwungen, nicht denken zu können. Ich werde gezwungen, keine Filme machen zu können.
Ich stelle mich der Wirklichkeit der Gefangenschaft und der Häscher. Ich werde nach den Manifestationen meiner Träume in Euren Filmen Ausschau halten: In der Hoffnung, dort das zu finden, was mir genommen wurde.

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