Sonntag, 1. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #1

Ich habe mich wieder einmal ein paar Abende lang in die Horror-Bäckerei zurückgezogen und einen gruseligen Adventskalender gebastelt. Wie 2010 gibt es diesmal wieder eine Geschichte, die die gruselige Seite der Weihnachtszeit nach außen kehrt. Erinnert ihr euch noch an die Heiligen Drei Könige in der Zombie-Variante? Diesmal wird alles noch viel schlimmer werden…

Bis zum 24. Dezember erscheint die Geschichte Tag für Tag in kleinen Häppchen. Jeden Tag ein wenig Grusel-Weihnacht! Am besten im Dunkeln lesen! Aber die Dunkelheit kommt ja in diesen Tagen glücklicherweise immer sehr früh… Harrharrharrhohoho…


Also Vorhang für


TÜRCHEN 1

Lotte hatte niemals Angst vor dem Nikolaus gehabt. Ihre dreijährige Schwester Birte dagegen schon. Als der weiße Bart mit der Riesenmütze „Warst du auch schön brav?“ gefragt hatte, war sie rot angelaufen. Dann hatte sie sich in die Hosen gemacht. Sie bekam wieder Windeln, obwohl Mama und Papa ihr in der Woche zuvor zur ersten erfolgreichen Töpfchen-Besteigung gratuliert hatten. Nach dem Vorfall hatte Lotte ihre Eltern bei einem Streit belauscht. „Es hat dir Spaß gemacht, ihr Angst einzujagen!“ schrie Mama. Woraufhin Papa polterte: „Kinder haben nun einmal Angst vor dem Nikolaus! Er weiß alles über sie, verdammt! Nächstes Mal engagiere ich einen Knecht Ruprecht als Partner – wie in alten Zeiten!“ Eine Tür knallte, als Mama des Streits überdrüssig wurde und ins Schlafzimmer verschwand. Aber Papa schimpfte noch weiter: „Dem werde ich dann auftragen, mit der Rute zu schwingen und seine Zunge herauszustrecken, damit das ganze noch gruseliger wird –und richtig schön rassistisch!“

Lotte stellte sich vor, wie lustig es wäre, hätte der Nikolaus einen Partner, der immer die Zunge rausstreckt. Das würde den Nikolaus neidisch machen. Denn der hatte so einen dichten Bart, dass er seine Zunge nicht rausstrecken konnte. Man konnte ja noch nicht einmal seinen Mund sehen. Er war einfach nur ein großer Watte-Knäul, hinter dem Papas verstellte Stimme zu hören war. Das hatte Lotte auch ihrer Schwester erzählt. Aber Birte hatte ihr nicht geglaubt. Lotte war sechs Jahre alt und hatte keine Angst vor dem Nikolaus. Mit dem Christkind verhielt es sich anders. Es war unsichtbar. Und es kam nicht durch den Flur ins Wohnzimmer, während es von Mamas und Papas mit Kameras gefilmt wurde. Es gab kein Beweismaterial vom Christkind und man konnte nicht mit ihm sprechen. Es tauchte irgendwie in den Wohnzimmern auf, obwohl es keine Schlüssel hatte. Mama hatte gesagt, das Christkind könne durch Wände gehen. „Und die Geschenke? Wie kriegt es die durch die Wände?“
„Das ist eben Magie“, hatte Mama gesagt. Und zwar in dem Tonfall, der „Jetzt nerv‘ mich nicht weiter“, bedeutete.
„Und warum schenkt es einem überhaupt Sachen? Einfach so?“
„Weil es nett ist! Und wenn du jetzt nicht auch nett bist, dann kommt das Christkind dieses Jahr nicht zu dir!“
Lotte hätte gerne „Warum bin ich denn nicht nett?“ gefragt, aber sie ließ es bleiben. Sie wusste, dass Mama genervt war, weil sie keine logischen Antworten auf ihre Fragen hatte. Fand Mama das Christkind eventuell auch seltsam? Lotte fürchtete sich jedenfalls – sie fürchtete sich vor Magie. Sie wusste, dass die Magie in den Harry Potter Filmen nur erfunden war. Und sie ahnte, dass die Magie eines Kindes, das an alle Kinder der Welt einfach so Geschenke verteilt, nicht gut sein kann. Und warum geht das doofe Christkind überhaupt durch Wände und zaubert sich nicht einfach selbst ins Zimmer, wenn es das doch mit den Geschenken auch kann. Das ergibt doch alles gar keinen Sinn!!! Lotte glaubte, ihr Kopf würde explodieren, wenn sie über die Problematik nachdachte.

Erst ein Jahr später durchschaute Lotte, dass es sich mit dem Christkind ähnlich verhielt wie mit dem Nikolaus. Dass es ein riesengroßer Quatsch war. Sie durchschaute es, weil das Christkind mit all seiner beängstigenden Magie nicht durch die Wand ins Wohnzimmer kam und keine Geschenke einfach so hinlegte. Lottes Eltern waren in diesem Jahr so traurig, dass sie nicht einmal einen Weihnachtsbaum aufgestellt hatten. Papa hatte sich nicht als Nikolaus verkleidet. Und weil auch das Christkind fehlte, wurde Lotte schlagartig klar, dass dieses Geisterkind auch zur Inszenierung gehören musste. Die Inszenierung, die in diesem Jahr nicht stattfand. Denn Mama und Papa waren traurig, weil Birte ein Jahr zuvor kurz nach Weihnachten gestorben war.

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