Samstag, 7. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #7

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!
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TÜRCHEN 7

Die nächsten Weihnachtsfeste feierte Lotte mit Mama und Oma gemeinsam. Sie gingen gemeinsam in die Kirche und besuchten anschließend Birtes Grab. Auf dem Grabstein war ein Baum mit einer mächtigen lebendigen Krone abgebildet. Nicht explizit christliches. Weder Mama noch Oma weinten noch, wenn sie ans Grab kamen. Oma fand immer ein Paar Blätter und Knospen, die sie aus dem Beet picken konnte, Mama starrte ausdruckslos auf den Grabstein. Und Lotte wünschte sich, dass der nächste Akt dieses Schauspiels endlich beginnen würde. Der bestand aus Fondue mit Brühe – wobei die drei Fleischspieße recht kläglich im großen Topf aussahen. Während des Essens versuchten alle, nicht über Papa oder Birte zu sprechen, obwohl beide immer wie Geister im Raum zu sein schienen. Mama erzählte ihrer Mutter dann immer, dass sie keine Lust mehr hätte, als Versicherungskauffrau zu arbeiten und sich bald etwas neues suchen wollte. Oma antwortete immer, dass es doch zu spät sei, noch was neues zu beginnen. „Was willst du einmal machen, Lotte?“ fragte sie dann. Und Lotte sagte „Etwas in Richtung Naturwissenschaft.“
Mama fügte dann gerne hinzu: „Sie ist viel begabter in diesen Dingen als ich.“ Sie warf Lotte dann einen Blick zu, der keinen Stolz vermittelte sondern: Du bist schuld, dass dieses Fest so trostlos ist. Du bist Schuld, dass sich unsere Familie aufgelöst hat.
Oma erlebte den Tag, an dem sich Lotte an der Universität Köln einschrieb, nicht mehr mit. Sie starb mit 86 Jahren an einem plötzlichen Hirnschlag. Wenige Wochen später zog Lotte nach Köln. „Mach‘s gut“, sagte Mama am Bahnhof. Zum ersten Mal hatte Lotte das Gefühl, dass der Vorwurf, für den Zerfall der Familie verantwortlich zu sein, nicht in ihrer Stimme mitschwang. Sie war von der Last befreit, nicht mehr so tun zu müssen, als würde sie mit ihrer Mutter noch irgend etwas verbinden. Lotte glaubte, dass es ihr ähnlich ging.

In Köln angekommen, meldete sich Lotte nicht bei ihrer Mutter. Erst, nachdem sie ein paar Wochen später einen neuen Handyvertrag abgeschlossen hatte, entschloss sie sich, Mama ihre neue Nummer per E-Mail zu schicken. Mama rief nicht an. Lotte ließ ein paar Tage vergehen und versuchte dann, Mama anzurufen. Sie ging nicht ran, worüber Lotte sehr erleichtert war. Es gab keinen Rückruf. Vor einer Woche hatte Lotte ein letztes Mal versucht, Mama anzurufen. Wieder war sie nicht rangegangen. Also hatte Lotte eine E-Mail geschrieben:

Liebe Mama,

da Du Dich nicht bei mir meldest, glaube ich, dass wir in diesem Jahr nicht Weihnachten miteinander feiern werden? Du empfindest das wahrscheinlich als genauso große Erleichterung wie ich. Das soll nicht bedeuten, dass ich wütend auf Dich bin – ganz im Gegenteil. Ich merke, dass der Abstand gut tut und hilft, die Dinge zu verarbeiten, die sich in den letzten Jahren (nicht nur zwischen uns) aufgestaut hatten. Ich hoffe, es geht Dir ähnlich!

Ich wünsche Dir frohe Weihnachten!

Deine 
Charlotte


Es war keine Antwort auf die Mail gekommen. Doch Lotte stellte fest, dass sie weder traurig, noch empört darüber war. Sie fühlte nur unendliche Erleichterung, dass sie in diesem Jahr kein Weihnachtsfest feiern musste, kein Schauspiel spielen musste. Sie nahm sich fest vor, Weihnachten in diesem Jahr ausfallen zu lassen – egal wie energisch Anja darauf bestehen würde, dass Lotte mit zu ihrer Familie kommen müsste.

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